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Kultur: Liebe ist nur ein Tort

Deborah Colker bei „Movimentos“ in Wolfsburg

Von Sandra Luzina

Jetzt gibt es also ein Bondage-Ballett: Deborah Colker zeigt in ihrer neuen Choreografie „Nó“ (Knoten), die beim Tanzfestival Movimentos im Kraftwerk Wolfsburg uraufgeführt wurde, Fesselspiele auf brasilianisch – sehr artistisch und ästhetisch. Verfänglich, aber so gar nicht abgründig. Dabei handelt „Nó“ von Lust und Kontrolle, von Liebesbanden und den unweigerlichen Abhängigkeiten.

1970 hat der Begründer der Anti-Psychiatrie-Bewegung, Ronald D. Laing, seine „Knoten“ publiziert. Bei Colker dagegen ist das double bind ganz gegenständlich. Die Tänzer rüsten sich mit Seilen aus und haben die Techniken des Knotens, Schnürens und Bindens ausgiebig studiert. Hier will keiner seine Fesseln abwerfen. Schon gar nicht die Frauen. Ein wenig mutet der Tanz wie die Vertreibung aus dem Paradies an – die Tänzer tragen hautfarbene Bodies, schwarze Applikationen betonen das Geschlecht.

Der Mann bindet der Frau die Arme hinterm Kopf zusammen. Gurte schnüren sich um Brust und Bauch, eine Schlinge legt sich um ihren Fuß. Diese Frau scheint aber die Kontrolle zu haben. Fesseln und Flügel: Sie wird an Gurten hochgezogen, pendelt, schaukelt, kreiselt. Fliegt selbstvergessen durch die Lüfte. Die hängende Schöne erinnert so gar nicht an die baumelnden Frauen des Japaners Araki, die passiv der Lust und dem männlichen Voyeurismus ausgeliefert sind.

Deborah Colker, die ihre eigene Compagnie in Rio de Janeiro unterhält, hat fantastische Tänzer, das beweist dieser Abend. Vor allem die Frauen sind umwerfend: athletisch kraftvoll und zugleich von einer hinreißenden Sinnlichkeit. Colker sucht immer nach dem besonderen Kick, nach einer sportlichen Herausforderung. Dem Berliner Publikum ist sie noch in guter Erinnerung. Mit „Casa“ bescherte die Brasilianerin dem mittlerweile abgewickelten Ballett der Komischen Oper seinen größten Erfolg. Die Tänzer mussten riskante Kletterpartien absolvieren, in schwindelerregenden Höhen tanzen.

Der rote Faden von „Nó“ ist das Begehren. Es kann sich nie erfüllen und muss sich immer wieder transformieren. Und tendiert deshalb zum Fetisch. Also greift Colker zu Bewegungen, die kein deutscher Choreograf wagen würde. Schwankt zwischen gewagt oder gefällig. Wenn es um Dominanz geht, sieht man, wie Frauen ihren Partner wie ein Hündchen an der Leine spazieren führen. Oder wie ein Pony an die Zügel gelegt werden.

Der zweite Teil spielt in einer transparenten Box mit Klettersprossen und wird zur Peep-Show mit akrobatischen Sonderverknotungen. Rein und raus, rauf und runter: Die drinnen turnen sich durch die anspruchsvollsten Stellungen, die draußen pressen ihren Leib lüstern an die Scheibe. „Nó" zeigt keine fatalen Begierden, sondern flotte Dreier und famose Vierer. Mann jagt Mann oder Frau umschlingt Frau. Du darfst, lautet Deborah Colkers Botschaft.

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