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Kultur: Liebeskummer lohnt sich

Ab morgen erscheinen neue CDs am Freitag. Was das heißt? Ein Überblick

„Freitag ist Musiktag.“ Ab morgen sollen neue CDVeröffentlichungen nicht mehr wie bisher montags, sondern bereits freitags auf den Markt kommen. Wie es einen Kinotag gibt, so soll es künftig auch einen Tag geben, an dem die Musik-Novitäten im Mittelpunkt stehen. Das komme den Konsumgewohnheiten der Menschen entgegen, wirbt die Phonoindustrie und hofft durch die Vorverlegung auf eine Belebung des Wochenendgeschäfts. Um die Fülle an Angeboten zu bewältigen, die am 23. September in die Läden drängt, haben wir alle CDs angehört und stellen eine Auswahl vor.

POP Sheryl Crow, Wildflower (Universal) Nein, um Zahnradritzel, Alpenpässe, das gelbe Trikot und Erythropoetin geht es auf dem 5. Studioalbum der Lance-Armstrong-Verlobten nicht. Stattdessen die gewohnten Einblicke in umrankte Seelenpanoramen. Seit Sheryl Crow 1994 mit „Leaving Las Vegas“ das steife Frau-mit- Gitarre-Gefüge durchbrach, ist sie everybody’s darling. Zuletzt war sie bei verzerrten Rocksongs angelangt. Nun jaulen zuweilen wieder E-Gitarren auf, wenn sich ihre „Maybe-an-Angel“-Stimme dem Refrain nähert und die Oktaven hochklettert. Innovatives Songwriting war nie ihre Stärke, aber sie schafft es trotzdem, ihren lieblich-energischen Breitwand- Pop intelligent klingen zu lassen. Dass sie hart rackern musste, um so weit zu kommen und öfters herbe psychische Rückschläge erlebte, hat ihre Musik empfänglicher gemacht für Zwischentöne. Die Folkgitarre perlt, Streicher ziehen von ferne heran. Liebe wird für die 43-Jährige zum Dämonenbändiger („I Know Why“) oder als Schwindel enttarnt („Perfect Lie“), aber vor allem ist sie eine Chance, die zu verpassen man sich nicht verzeihen würde. Wer’s braucht. KM

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ROCK Ryan Adams & The Cardinals , Jacksonville City Nights (Lost Highway) Quantität muss nicht zu Lasten von Qualität gehen: Singer/Songwriter-Workaholic Ryan Adams bringt nach dem grandiosen Americana-Doppelalbum „Cold Roses“ schon die zweite tolle Platte in diesem Jahr heraus, und eine dritte ist für den Spätherbst geplant. Auf „Jacksonville City Nights“ schaut er mit seiner Begleitband tief ins dunkle, traurige Herz der Countrymusik. So entfaltet sich zwischen zarten, zum Heulen schönen Balladen eine ungeheuer reiche, ergreifende Reflexion auf die große Musiktradition des Mittelwestens. Neben Wilco ist Ryan Adams damit heißester Anwärter auf einen The-Band-Gedächtnis-Award. wun

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ROCK Revolverheld, Revolverheld

(Atlantic) „Wir sind die Generation Rock“, lautet das Motto dieser Nachwuchsband, die ein bisschen nach den späten Toten Hosen klingt. Denn ein gewisser Hang zur Pop-Seligkeit ist der Fünferbande deutlich anzumerken, leider aber mit unglückseligen Reimen: „Pack deine Sachen ein und raus/ Du bist hier jetzt nicht mehr zu Haus/ Und Scheiß auf Freunde bleiben.“ Das ist schon eleganter gesagt worden. Außerdem ist auffallend häufig von Rock’n’Roll als dem ultimativen Lebensstil die Rede, was nur jene sagen, die es nötig haben. So klingen die fünf Burschen aus Hamburg, die vor zwei Jahren zur Band wurden, auch viel zu sauber für „geile Rock-Proleten“. KM

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ROCK The Dead 60’s , Riot Radio (SonyBMG) Man kann eine Band aus Liverpool sofort fertigmachen, indem man ihr die großen Vorgänger vorhält. Die Sechziger sind tot, Mann!, lautet die Antwort der Dead 60’s. Es ist ein Irrtum, das Quartett um Sänger Matt MacManaman für Nachkommen von The Clash und all der anderen Säulenheiligen des gegenwärtigen Neo-Brit-Booms zu halten. „The same page in a different age“, lautet ihr Motto. Auf ihrem Debüt überwiegen denn auch Ska- und Reggae-Einflüsse, Reminiszenzen an den Neo-Punk von The Police, nur simpler. Resopal- und Linoleum-Pop. Rutschig, rumplig, toll. KM

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POP John Cale , Black Acetate (EMI) Was für ein störrischer Kerl: John Cale hätte vermutlich der walisische Leonard Cohen werden können, aber in den 35 Jahren seiner Solokarriere hat er es bislang immer geschafft, ein größeres Publikum abzuschrecken. Daran dürfte „Black Acetate“ nicht viel ändern. Wie so oft sorgt Cale nicht nur für eine heterogene Songzusammenstellung, die von Glamrock-Travestien („Outta The Bag“) über Bratzrock („Turn The Lights On“) bis zu den typischen, morbiden Nachtschattenballaden reicht („Gravel Drive“). Er schafft es sogar, einen todsicheren Hit wie das mitreißende „Woman“ zu dekonstruieren, den besten Gitarrenkracher, den Sonic Youth nie geschrieben haben. So bleibt John Cale im kommerziellen Niemandsland, und es dürfte ihm dort gut gefallen. wun

SOUL So Amazing: An All-Star Tribute to Luther Vandross (SonyBMG) Luther Vandross, der im Juli mit 54 einem Herzinfarkt erlag, verkörperte sozusagen das missing link zwischen dem Funk der Siebzigerjahre und heutigem R’n’B. Mit dem sanften Groove seiner Songs und seinen butterweichen Synthiestreicher-Arrangements machte der Großmeister des Säusel-Souls den Erfolg heftig falsettierender Sängerinnen wie Mary J. Blige oder Alicia Keys überhaupt erst möglich. Klar, dass Blige und Keys zu den Künstlern gehören, die dem Westcoast-Giganten nun auf einem Tributalbum posthum huldigen. Das Aufgebot reicht von Stevie Wonder, Elton John und Donna Summer bis, naja, Celine Dion. Die meisten Songs klingen stark überzuckert, einige sind berührend: Soul-Queen Aretha Franklin haucht „A House Is Not A Home“, das Stück, in das sich Vandross in den Sixties so sehr verliebte, dass er beschloss, selber Komponist und Sänger zu werden. chs

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ROCK H.I.M. , Dark Light (Sire) Es wird viel gestorben in den Liedern von Ville Valo. Und so blass wie der H.I.M.-Sänger aussieht, könnte man ihn glatt für einen Zombie halten. Seine zahllosen weiblichen Fans finden den Finnen aber gerade deshalb sexy. Die zehn poppigen Goth- Rock-Nummern seiner Infernal Majestey funktionieren nach der „Love-Metal“-Formel: ein gerader Mid-Tempo-Beat, süße Keyboard-Akzente und solide Riffs. Für Jüngere der passende Soundtrack für den ersten großen Liebeskummer und für Ältere eine hübsche Erinnerung an The Mission oder Sisters of Mercy. nal

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DANCE Sean Paul , Trinity (Warner) Wer in diesen Tagen mit Jamaika noch Musik verbindet, kann nicht von hier sein. Auf dem neuen, dritten Album setzt der Jamaikaner und Beat-Tüftler Paul auf Newcomer wie den Landsmann Wayne Marshall. Der Sound hat sich nicht gewandelt. Pumpende Bässe, treibende Grooves und Paul-Typische Hooklines. Es geht um sein Lieblingsthema Gras, aber auch um die alltägliche Gewalt auf den Straßen seiner Heimat und Verluste im Freundeskreis. „Trinity“ ist dennoch kein düsteres Album geworden. sfh

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FOLK The Corrs , Home (EastWest) Andrea Corr hat gerade mit U2-Frontmann Bono den Titelsong für Wim Wenders Drama „Don’t Come Knocking“ aufgenommen – ein countreyskes, sehr amerikanisch anmutendes Duett. Tief in die irische Heimat der Sängerin führt hingegen das neue Album ihrer Band. Das Geschwisterquartett nahm sich einer handgeschriebenen Liedersammlung der verstorbenen Mutter an. Es behandelt die alten Weisen respektvoll und versucht nicht, sie in ein neues Sound-Universum zu überführen. So singt Andrea Corr zwei Lieder auf Gälisch, Drummerin Caroline Corr schlägt das Bodhran und fröhliche Flötenläufe lassen die Herzen aller Irland-Fans hüpfen. nal

Außerdem erscheinen :

Herbie Hancock, „Possibilities“ (Wea); Ray Charles, „Genius & Friends“ (Wea); Bloodhound Gang, „Hefty Fine“ (Interscope); Blank & Jones, „Relax II“ (Epic).

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