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Lieblingsstück (2): Hüben und drüben

Berlin hat 170 Museen. In den Ferien ist Zeit für Entdeckungstouren. Heute: Kai Müller über ein Stadtmodell im Märkischen Museum.

Davor geh’ ich in die Knie. Es geht nicht anders, um das Auge auf die Horizontlinie zu bringen, irgendwo auf den Feldern vor der Stadt. Ich mache mich noch kleiner, kneife das andere Auge zu an dieser Miniaturversion, Maßstab 1:450 aus Holz, von einem Wehrwall umgeben. Dahinter erheben sich zwei Kirchen. So wäre das also gewesen, wenn man sich 1688 zu Fuß oder zu Pferde dem Kern dessen genähert hätte, was wir heute Berlin nennen. Damals ist es noch keine Stadt, sondern das, was es heute wieder ist: eine Doppelstadt.

Berlin auf der einen Seite der Spree, Cölln auf der anderen. Städte am Fluss sind immer geteilt. Wie lange das hier schon geht mit der Teilung in Ost und West! Alles gibt es doppelt, kein Wunder, dass es bis heute so ist, bei Orchestern, Konzerthäusern, Freiluftarenen, Bundesligaklubs. Der Fluss ist schuld.

Aus der Mitte der Ansiedlung erhob sich im 17. Jahrhundert das Schloss des Kurfürsten. Es stand auf der ärmeren Spreeseite, wo die Fischer wohnten. Gegenüber: verwinkelte Gassen, enge Häuser, der bürgerliche Teil namens Berlin. Hier waren die Kaufleute zu Hause. Der Fluss, das zeigt das Modell, war nicht wegen seiner Schiffbarkeit zum Magnet geworden. Man konnte ihn hier einfach gut überqueren. Ein „Molendamm“ wurde errichtet, der das Wasser staute, einer Reihe von Mühlen das nötige Gefälle und den Cöllnern bessere Fischgründe bescherte.

Seit die Diskussion um Berlins historische Mitte entbrannt ist und die Altstadt mit ihrem „bürgerlichen“ Straßenraster rund um die Marienkirche als Idealbild herangezogen wird, hat das Holzmodell im Erdgeschoss des Märkischen Museums politisch an Gewicht gewonnen. Es geht zurück auf einen Perspektivplan, den der kurfürstliche Stempelschneider, Ingenieur, Münzmeister und Kupferstecher Johann Bernhard Schultz nach dem Tod des Kurfürsten Friedrich Wilhelm angefertigt hatte: eine idealisierte Ansicht. Leider gab es 1688 noch keine Eisenbahn, die als H-Null-Version durch die Landschaft rauschen könnte. Und schade, dass es auf die Dauer weh tut, die Augen zuzukneifen.

- Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5, Di u. Do–So 10–18, Mi 12–20 Uhr.

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