zum Hauptinhalt

Kultur: Lies oder stirb

Christiane Peitz besucht den Club der toten Dichter Diese Glosse ist zu kurz. Jedenfalls in den Augen der um ihr Fortleben besorgten Autorin.

Christiane Peitz besucht

den Club der toten Dichter

Diese Glosse ist zu kurz. Jedenfalls in den Augen der um ihr Fortleben besorgten Autorin. Die Wissenschaft hat nämlich festgestellt, dass Poeten nicht lange leben. Wer Gedichte schreibt, oder prosaisch: Wer sich kurz fasst, der weilt auch nur kurz auf dieser Erde. Georg Heym starb mit 24, Georg Trakl mit 27, John Keats war 25, und Sylvia Plath nahm sich mit 30 das Leben. Gut, Rilke wurde 51 und Shakespeare sogar 52, aber das biblische Alter von Romanciers wie Ernst Jünger (100), Hermann Hesse (85) oder Thomas Mann (80) erreichte keiner von ihnen.

Quem di diligunt, adolescens moritur, schrieb schon der römische Komödiendichter Plautus, der es immerhin auf 66 Jahre brachte (Dramatiker leben länger). Wen die Götter lieben, der stirbt jung. Klar, der Himmel liebt die Künstler. Künstler schreiben langsam, und Schreiben ist bekanntlich ungesund: Rückenschmerzen, Nackenstarre, Augenflimmern ... Dass ausgerechnet das Kurzschreiben ungesünder ist als das Langschreiben, belegt eine neue Studie des Psychologen James C. Kaufman von der California State University in San Bernardino. Die mittlere Lebenserwartung des Lyrikers beträgt demnach 62,2 Jahre, die von Romanautoren 66, Sachbuchautoren werden 67,9 Jahre alt.

Der Grund? Sind halt so sensibel, die Dichter, mehr als die Denker: kränklich, depressiv, suizidgefährdet. Von wegen der Introspektion und der Expression, sagt der Psychologe. Reime und Verse, Sonette und Haikus – die ganze Mühe der Verdichtung von Fantasie zum hochprozentigen, grazil-fragilen literarischen Maggiwürfel kostet schier übermenschliche Kräfte, mitunter gar die eigene Existenz. Oder wie sonst ist das Rätsel zu erklären, das Petrarca uns aufgibt? Mit stolzen 73 Lenzen gehört Petrarca zur seltenen Spezies der langlebigen Poeten, und die Wissenschaft hat dieser Tage auch noch festgestellt, dass dessen Kopf nicht der eines Mannes ist, sondern der einer Frau!

Weil Frauen länger leben, wie es die Demografen uns angesichts von Geburtenrückgang, Rentenkrise und Methusalem-Komplott derzeit so gerne vorrechnen? Maxine Kumin, Ehrendichterin von New Hampshire und mit 79 Jahren eine der raren greisen Poetinnen, hat jedenfalls wütend auf Kaufmans Studie reagiert. Sie habe keinerlei Depressionen. Und höher als die Selbstmordrate unter Dichtern sei die – der Zahnärzte.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false