zum Hauptinhalt
Lina Wolff

© Privat

Lina Wolffs Roman „Die polyglotten Liebhaber“: In dunklen Kanälen

Die schwedische Autorin Lina Wolff rechnet beißend ironisch ab mit den misogynen Blicken männlicher Schriftsteller auf die Welt und die Frauen.

Er schreibe nicht über Sex, sondern über die Liebe, erklärt der Schriftsteller Max Lamas großspurig seiner Angebeteten, einer blinden, überirdisch schönen „Expertin für paranormale Phänomene“. Die erwidert, sichtlich unbeeindruckt: „In Wahrheit schreiben Männer bloß über sich selbst. Männer schreiben über Männer und Sex.“

Bereits in ihrem Debütroman „Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“ rechnete die schwedische Autorin Lina Wolff beißend ironisch ab mit den misogynen Blicken männlicher Schriftsteller auf die Welt und die Frauen. In „Die polyglotten Liebhaber“ knöpft sie sich nun ihren Michel Houellebecq vor. Oder vielmehr: dessen Verehrer und Nachahmer. Neben Max Lamas, der nicht nur an Houellebecq erinnert, sondern gleichermaßen an Pygmalion und Frankenstein, kommt die 36-jährige Ellinor zu Wort, die über ein Online-Dating-Portal den Literaturkritiker Calisto kennenlernt, und zu guter Letzt die verarmte Enkelin einer skandalumwitterten italienischen Marchesa.

Neben Zynismus auch magische Momente

Zusammengehalten wird der abgründige Episodenroman von einem Manuskript mit dem Titel „Die polyglotten Liebhaber“, das im Lauf der Geschichte so einiges aushalten muss – genau wie die Protagonisten, mit denen Wolff wenig zimperlich umgeht. Was die Figuren einander antun, ist mitunter schwer erträglich. Lamas versteht sich vom platten Chauvinismus seiner Geschlechtsgenossen zwar geschickt abzugrenzen. Das hindert ihn jedoch nicht daran, eine seiner Eroberungen genüsslich zu erniedrigen: „Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt ich das gesamte Selbstwertgefühl einer Frau. Ich hatte die uneingeschränkte Macht. Ich konnte sie begnadigen. Ich konnte sie brechen.“ Noch erschreckender ist, was die Figuren sich selbst antun, um der Einsamkeit zu entgehen. Nach einer schöngeredeten Vergewaltigung, auf die flugs eine perfide Rache folgt, bleiben Ellinor und Calisto tatsächlich eine Weile zusammen und entwickeln binnen kürzester Zeit Routinen, wie man sie von lang verheirateten Paaren kennt.

Was hier in seiner unwahrscheinlichen Häufung dramaturgischer Zuspitzungen wie eine Daily Soap oder griechischer Tragödie wirkt, ist so herrlich lakonisch und dabei auch so skandinavisch unterkühlt erzählt, dass man sich der willentlichen Aufhebung der Ungläubigkeit gerne hingibt.

Im Gegensatz zu den Werken Houellebecqs bietet „Die polyglotten Liebhaber“ nicht nur erbitterten Geschlechterkampf, kaputte Menschen und Zynismus, sondern auch magische, fast mythisch überhöhte Momente, die ein Gefühl der Transzendenz ahnen lassen. Zum Beispiel jene unerwarteten Blickwechsel, in denen die Protagonisten sich selbst oder einander erkennen, „als gäbe es da drinnen einen dunklen Kanal, dem man folgen konnte, ohne zu wissen, wo man wieder rauskam“. Es sind Momente, die sich schmerzhaft einbrennen und ungeahnte Transformationen einleiten.

Lina Wolff: Die polyglotten Liebhaber. Roman Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat. Hoffmann und Campe, Hamburg. 283 Seiten, 22 €.

Anja Kümmel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false