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Lion Feuchtwanger auf dem Cover von Anne Hartmanns Buch „Ich kam, ich sah, ich werde schreiben“ (Ausschnitt).

© Wallstein Verlag

Lion Feuchtwanger in Moskau: Stalin, mon amour

Er war weder naiv noch Opfer sowjetischer Propaganda: Anne Hartmann begibt sich in einem Buch auf Lion Feuchtwangers Moskauer Spuren.

Sein berühmt-berüchtigtes Buch „Moskau 1937“ nannte Lion Feuchtwanger einen „Reisebericht für meine Freunde“. Darin schilderte er seine zwei Monate als Ehrengast, Gesprächspartner Stalins und Beobachter im zweiten Moskauer Schauprozess in rosarotem beziehungsweise tiefrotem Licht. Für seine Feinde war er damit bestenfalls naiv, schlimmstenfalls korrupt, da in der Sowjetunion gleichzeitig eine Gesamtausgabe seiner Werke erschien und der Roman „Die Geschwister Oppenheim“ verfilmt wurde.

Freunde begrüßten die Schrift als Gegenstück zu André Gides Russland-Reisebericht „Retour de l’U.R.S.S.“ von 1936, der die Sowjetunion nach Feuchtwangers eigener Schätzung zwei Drittel ihrer Anhänger im Westen gekostet hatte. Und zwar im ungünstigsten Moment, als sich Komintern und deutsche Kommunisten im Pariser Exil um eine antifaschistische Volksfront bemühten.

In Moskau war man deshalb mit Feuchtwangers „Büchlein“ zufrieden, nachdem er sein in sechs Wochen geschriebenes Manuskript auf Betreiben des Reise-Initiators Michail Kolzow überarbeitet und Vergleiche Stalins mit Trotzki und Hitler getilgt hatte. Kolzow hatte Stalins Privatsekretär gemeldet, es sei zwar „durchaus freundschaftlich“, aber enthalte „viele politische Dummheiten und überhaupt törichte Urteile“. Das meinten, aus anderen Gründen, auch Kritiker im deutschen Exil wie Hans Sahl oder Klaus Mann. Selbst Feuchtwangers Verleger Landshoff zögerte, das Buch zu veröffentlichen, Thomas Mann fand es nur merkwürdig. Hermann Kesten empörte sich schon während Feuchtwangers Aufenthalt in Moskau über dessen Kommentar in der „Prawda“, die erschossenen Angeklagten seien „totschuldig“: „Er schrieb es ihnen ins Grab hinein, ein Gemütsturner.“

In der Öffentlichkeit trug Feuchtwanger Enthusiasmus zur Schau

Das kann man kaum anders sagen, wenn man im Tagebuch liest, wie gern er sich von seinen Gastgebern auf Banketten feiern ließ und wie lästig ihm die Prozessbesuche waren, die er öfter versäumte. Einmal weil er Schnupfen, ein andermal weil er „lieber mit Eva gevögelt“ hatte, seiner Begleiterin und lebenslangen Geliebten. Seinen sowjetischen Bewachern, die ihn, wie die Geheimpolizei seiner Dolmetscherin bescheinigte, rund um die Uhr „kompetent und gewissenhaft“ kontrollierten, entging nicht, dass ihn die kapriziöse Malerin kritisch beeinflusste. Die Kunst des Sozialistischen Realismus war für sie „Schund, dass es einen anwidert, sich das anzusehen.“

In der Öffentlichkeit trug Feuchtwanger stets Enthusiasmus zur Schau. Während er durch Privatgespräche von der drückenden Wohnungsnot wusste, rühmte er beim Besuch der Moskauer Bauausstellung die „in der UdSSR erzielten Erfolge im Wohungsbau“. Noch am letzten Tag seines Aufenthalts feierte er in einem Danktelegramm „die Kraft und Klugheit“ Stalins als „würdigen Repräsentanten des Sowjetvolkes“. Natürlich hatte ihm der schlaue Diktator, der vom Leiter seiner Geheimpolizei von Feuchtwangers vertraulicher Äußerung wusste, der „Stalinkult missfalle ihm wirklich“, im Interview versichert, die Verehrung der Massen gelte nur ihrer „Befreiung von der Ausbeutung“. Feuchtwangers durch die Blume westlicher Pressezitate angedeutete Kritik an fehlenden Sachbeweisen im Moskauer Prozess konterte Stalin mit Radeks Schuldgeständnis, das der Angeklagte aber erst 14 Tage später ablegte.

Briefe, geheime Berichte, Tagebuchaufzeichnungen

Es waren solche Widersprüche, die der Bochumer Slawistin und Germanistin Anne Hartmann bei Archivstudien in Moskau auffielen und sie zu einer Neubewertung von Feuchtwangers vermeintlicher Naivität veranlassten. Sie beansprucht nur hundert Seiten, allerdings belegt mit 300 Seiten einer Chronik aus Briefen, geheimen Berichten und Tagebuchaufzeichnungen. Ihr erster Fund waren die Berichte von Feuchtwangers Dolmetscherin und Bewacherin Dora Karawinka, die den Autor als schwierigen, skeptischen Gast schildern.

Das zeigten auch weitere Geheimdienstberichte und die 2001 veröffentlichten Tagebücher des Kominternchefs Dimitroff. Er war der Einzige, dem Feuchtwanger Zweifel an den Moskauer Prozessen gestand. In seinem eigenen Tagebuch findet sich am Tag der Urteilsverkündung der Eintrag, die Begnadigung (Gefängnis statt Todesstrafe) des Kronzeugen Radek mache „alles zweifelhaft und zur Farce“. Eine, wie er noch nicht wissen konnte, tödliche Farce: Stalin ließ Radek zwei Jahre später ermorden.

Noch im Kalten Krieg Glaube an den Endsieg des Sozialismus

Lohnt es sich also, den Fall Feuchtwanger in Moskau noch einmal aufzurollen? Ja, denn nun wissen wir, dass Feuchtwanger weder naiv noch Opfer sowjetischer Propaganda war, sondern sie wider besseren Wissens bediente. Zudem erfolglos, denn statt der Volksfront kam es zum Hitler-Stalin-Pakt. Die Moskauer Werkausgabe kam über zwei Bände nicht hinaus, und nach seiner Emigration in die USA galt er als „Kosmopolit“. Was ihn nicht hinderte, Stalin zum 60. und 70. Geburtstag und Wilhelm Pieck zur Gründung der DDR zu gratulieren.

Vermutlich glaubte er noch im Kalten Krieg an den Endsieg des sowjetischen Sozialismus, als er zum Missfallen der CIA Chruschtschows Schwiegersohn Adschubej empfing. Widerrufen hat er sein Buch nie, nur unter Berufung auf ein Goethewort relativiert: „Ein Bedeutendes weiß uns immer für sich einzunehmen, und wenn wir seine Vorzüge anerkennen, so lassen wir das, was wir an ihm problematisch finden, auf sich beruhen.“ Vielleicht gilt das auch für die Werke bedeutender Schriftsteller.

Anne Hartmann: „Ich kam, ich sah, ich werde schreiben.“ Lion Feuchtwanger in Moskau 1937 – eine Dokumentation. Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 456 Seiten, 39 €.

Hannes Schwenger

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