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Literatur: Die Faszination von Inseln

Kulturwissenschaftler Volkmar Billig untersucht die Wirkung von Inseln auf die menschliche Sehnsucht. Sein Buch ist ein Gang durch die Europäische Geistesgeschichte.

Wer "reif für die Insel" ist, denkt meist an schneeweiße Strände, Palmen und türkisblaues Meer. Der Tourismusindustrie steht dabei ein großes Reservoir an Formulierungen aus der Alltagssprache zur Verfügung. Unsere Sehnsüchte gehen oft in Richtung einsamer oder wunderschöner Inseln, und so ist Inselforschung nicht zuletzt ein Akt der Selbstaufklärung. Dieser unterentwickelten Disziplin hat sich jetzt der Kulturwissenschaftler Volkmar Billig angenommen.

Billigs Buch ist ein Gang durch die europäische Geistesgeschichte, wobei er ungeheure Materialmengen organisiert: vom Inselhopper Odysseus über Platons Atlantis, die frühneuzeitliche Utopie des Thomas Morus bis zu Robinsonaden bei Crusoe, Grimmelshausen oder Schnabel. Inseln, so Billigs Überzeugung, sind abgeschlossene Gebilde, die aufgrund ihrer Isolation eine Logik entwickeln, die sie zwischen Realität und Fiktion schillern lässt. So eignet sich die Insel gut für idyllische, exotische, erotische oder philosophische Entwürfe. Billig versucht, die „Inselreden“, also Zuschreibungen, in ihrer historischen Wandelbarkeit zu sortieren und zu deuten.

Fluchtpunkt unserer Vorstellungen ist offenbar die Identifikation der Insel mit dem Ursprung und Zuständen eines irdischen Paradieses. Mit der "Entdeckung" Tahitis aber erhält das imaginäre Paradies seinen Platz in der realen Welt, bevor es aus der fernen Südsee ans nähere Mittelmeer wandert – wo Goethe oder Hölderlin ihr Arkadien suchen. Nietzsche und die Malerei Gauguins codieren das Moment des Ursprungs schließlich in einen Zukunftsentwurf um, an den die Avantgarden des 20. Jahrhunderts anknüpfen können. Billigs Aufarbeitung der Inselfaszination hat fast das Zeug zu einem Grundbuch. Aber nur fast, existiert da doch ein blinder Fleck. Eine Insel kommt selten allein. Seien es die Kanaren oder die Kapverden, die Balearen oder die Azoren – Inseln sind keine geschlossenen Container, sondern beziehen sich immer auf ein anderes: Inseln desselben Archipels oder das Festland. Das macht das Insulare zu einem Paradigma der Offenheit, der Pluralität und des relationalen Denkens. Steffen Richter

Volkmar Billig: Inseln. Geschichte einer Faszination, Verlag Matthes & Seitz, Berlin, 304 Seiten, 29,90 €.

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