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Literatur: Feuer, Wasser, Rauch

Selten war der Hype um einen Roman größer. Das Marketing-Vorspiel für Jonathan Littells SS-Roman „Die Wohlgesinnten“ ist ohne Beispiel.

Von Gregor Dotzauer

Das letzte Wort ist gesprochen, noch ehe das erste deutsche Exemplar von Jonathan Littells Roman „Die Wohlgesinnten“ in die Buchläden gefunden hat. Die fiktive Lebensbeichte des SS-Obersturmbannführers Max Aue, erklärte Frank Schirrmacher in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sei zwar „kein ,Krieg und Frieden’“, auch „kein Jahrhundertbuch“ und „über einige Strecken fast unlesbar“. Dennoch sei es „groß und kalt“. Weshalb seit vergangenen Samstag die ersten 120 Seiten vorabgedruckt werden, erweitert um einen „Reading Room“ unter www.faz.net, der mit Expertenmeinungen und Leserkommentaren bis zum 23. Februar, dem Erscheinungsdatum und Ablauf der Sperrfrist für Berichterstattung, alles Wissenswerte so erschöpfend abhandeln wird, dass danach auch für den Bemühtesten kein Knöchelchen zum Abnagen mehr bleibt. Im Namen einer Demokratisierung, die das letzte Wort angeblich gar nicht haben will, betreibt die „FAZ“ eine Monopolisierung. Warum aber soviel Getöse um ein schlechtes Buch?

Für den Berlin Verlag grenzt die Frage nach Erfolg oder Misserfolg der „Wohlgesinnten“ an eine Schicksalsfrage. Allein um den Vorschuss von 500 000 Euro an Jonathan Littell einzuspielen, muss der Verlag bei einem Verkaufspreis von 36 Euro und einem geschätzten Autorenanteil von zehn Prozent rund 150 000 Exemplare im Hardcover verkaufen. Ein Vielfaches davon muss später das Taschenbuch absetzen: Bei einem Umfang von fast 1400 Seiten sind auch die Herstellungs- und Übersetzungskosten exorbitant. Was insgesamt wiederum ein Marketing erfordert, dessen Budget mit Sicherheit im sechsstelligen Bereich liegt. Verglichen mit dem Kino mögen dies lächerliche Summen sein, doch die daraus entstehenden Zwänge verlagern das Buchgeschäft in Richtung Entertainment-Industrie.

Mit diesem Problem steht der Berlin Verlag nicht allein da. Die Zockerei um Lizenzen (und die oftmalige Beliebigkeit der Zuschläge) macht das Buch, auch wo es Literatur zu sein behauptet, in erster Linie zum Wirtschaftsobjekt. Mit der Idee, Bücher zu veröffentlichen, die es wert sind, gelesen zu werden, hat dieser Wettbewerb nicht mehr viel zu tun. Die Kalkulation des „Einer kommt durch, zwei bleiben auf der Strecke“ tut ein Übriges. Es kann also angesichts der investierten Summen um Littell gar keine Diskussion um ihrer selbst willen mehr geben. Der Verlag muss sie mit allen Mitteln befeuern, damit sein Engagement sich nicht rächt. Deutschland muss „Die Wohlgesinnten“ kaufen, gleich, ob die Substanz des Romans den inszenatorischen Aufwand trägt.

Die „FAZ“ hat sich dabei als Erfüllungsgehilfin angedient. Ihre Auflage wird sie damit kaum steigern. Doch den symbolischen Gewinn, den sie zu erwerben hofft, darf man nicht unterschätzen. Der Versuch, unter den meinungsführenden Zeitungen die Macht beim agenda setting zu behalten, greift als Erklärung zu kurz. Die medialen Ernährungsketten kreuzen sich seit Jahren in der Horizontalen wie in der Vertikalen. Man konkurriert mit seinesgleichen, aber auch zusehends mit den Ungleichen: dem Boulevard und den elektronischen Medien. Einmal gibt die Fernsehtalkshow das Stichwort, ein andermal der „Spiegel“, und wieder ein anderes Mal formiert sich etwas Nebulöses im Internet.

Die klassischen Hierarchien und Orte des politischen und kulturellen Gesprächs sind aufgelöst. Wo aber das präzise, wohl abgewogene Wort, das seit jeher die Domäne der seriösen Buch- und Zeitungskultur ist, marginalisiert wird, ist es kein Wunder, wenn es seine Gehalte skandalisiert. Das entscheidende Novum dürfte allerdings der Gegenstand sein, an dem sich diese Entwicklung austobt. Mit dem Holocaust hat sich ein Thema breit gemacht, das zum Allerheiligsten zählt – zu einem kulturellen Selbstverständnis, das für die Vermarktung lange Zeit sakrosankt war. Der böse Spruch „There’s no show business like Shoah business“ bezog sich im Wesentlichen auf die Opfer, und noch der ebenfalls von der „FAZ“ ausgehende Historikerstreit lebte von der missionarischen Überzeugung Ernst Noltes, der Bolschewismus habe den Nationalsozialismus hervorgebracht.

Mit dem Skandal um die SS-Mitgliedschaft von Günter Grass, mit der Debatte um Martin Mosebachs Büchner-Preisrede, in die der Name von Heinrich Himmler erst noch hineinredigiert wurde, um sie offen anstößig zu machen, ist eine entsubstanzialisierte Form des Nachdenkens über die deutsche Vergangenheit im Herzen des bürgerlichen Feuilletons angekommen. Auch im Fall Littell existieren Krawalljournalismus und intellektuelle Kompetenz munter nebeneinander her. Man kann sich aber fragen, was in diesem Spiel die tägliche Dosis Holocaust, die hochmögende Literaturwissenschaftler und Historiker Tag für Tag mit einer neuen Frage zu Sinn und Unsinn der „Wohlgesinnten“ bearbeiten, noch vom allmorgendlichen „Bild“-Luder trennt.

Zu welchem Ergebnis man auch kommen mag: Es kann nicht über den Zerfall einer breiten literarischen Öffentlichkeit hinwegtäuschen, die hier noch einmal simuliert wird. Bryan Singers Stauffenberg-Film, prophezeite Frank Schirrmacher unlängst in der „FAS“, werde Deutschland mehr verändern als irgendein anderer Film. Er sprach von einem unfertigen Produkt. Nach Littells Roman, der im französischen Original seit einem Jahr vorliegt, darf man getrost behaupten, wird alles so sein wie zuvor.

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