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Der Aufstand im KZTreblinka: Ungelegene Wahrheit

Eine zu unrecht vergessene Großtat des Widerstands

75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz könnte man meinen, um die Erinnerung an den Holocaust sei es in Deutschland gut bestellt. Doch das betrifft vor allem Auschwitz, wo die Juden aus Deutschland, West- und Südeuropa ermordet wurden. Doch die meisten Opfer forderte der NS-Massenmord nicht in Auschwitz, auch nicht im „Kugel-Holocaust“ der Einsatzgruppen, sondern in der „Aktion Reinhard“: In den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka wurden zwischen März 1942 und Oktober 1943 annähernd zwei Millionen Juden bestialisch ermordet.

"Buch des Jahres" in Polen

Michal Wojcik ist Historiker und Journalist, sein Buch hat keine Fußnoten und ist im Ton belletristisch, dennoch wählte es die polnische Newsweek zum Buch des Jahres. Denn Wojcik will mit diesem Buch die offenbar vor allem in Polen verbreitete Legende widerlegen, die polnische Heimatarmee habe den Aufstand von Treblinka herbeigeführt.

Tatsächlich aber ging der legendäre Aufstand vom 2. August 1943 vom jüdischen „Sonderkommando“ im Lager aus. Gab es nämlich in den „Reinhard“-Lagern, anders als in Auschwitz, keine regelrechten Selektionen, so wurden doch immer wieder einzelne Juden und Jüdinnen aus den Transporten herausgezogen, um für die SS die Drecksarbeit zu machen: vom Vergraben – später Verbrennen – der Leichen bis zum Sortieren der Kleider. Genauso wie die Ermordeten auf ihrem Weg zu – und beim Wartenlassen in – den Gaskammern wurden auch diese „Arbeitsjuden“ unsagbar schikaniert und regelmäßig dezimiert.

Widerstand - den Tod vor Augen

Dennoch schafften sie das Wunder und revoltierten, ihre bevorstehende Ermordung vor Augen, gegen ihre Peiniger. Zuerst in Treblinka, zweieinhalb Monate später auch in Sobibor. Hier wie dort schafften einige Hundert den Ausbruch, das Kriegsende erlebten freilich nur wenige, aus Treblinka etwa sechzig; mit Samuel Willenberg starb 2016 der Letzte von ihnen. Ihre Erinnerungen sind die mit Abstand brutalsten Zeugnisse der Schoah – und fanden nie annähernd die breite Rezeption, die sie verdienen.

Die Primitivität des Mordens

Dass sie nicht ganz vergessen sind, ist auch das Verdienst des Piper Verlages, der schon 2009 die Memoiren Chil Rajchmans („Ich bin der letzte Jude“) auf Deutsch verlegte. Dass Wojciks Buch keine Fachliteratur ist (dafür gibt es die Bücher Sara Bergers und Stephan Lehnstaedts oder auch die Dokumentation „Fotos aus Sobibor“), ist gerade seine Stärke – und auch, dass er mit Eugen Kogon argumentiert, der die SS-Täter mehrheitlich als sadistische Proleten beschrieb, nicht als intellektuelle Weltanschauungstäter (Michael Wildt, „Generation des Unbedingten“), auf die wir uns heute gern fokussieren. Denn diese Fokussierung verschleiert den Blick auf die gewaltvolle Primitivität des unmittelbaren Mordens, das eben keine elitären Schreibtischtäter besorgten und das entsprechend brutal und schmutzig vor sich ging. Diese unangenehme Wahrheit über die Schoah ins Gedächtnis zu rufen, ist das Verdienst dieses Buches, demgegenüber vereinzelte Sachfehler kaum ins Gewicht fallen. K

Michal Wojcik: Der Aufstand von Treblinka. Revolte im Vernichtungslager. Aus dem Polnischen von Paulina Schulz-Gruner. Piper Verlag, München 2020. 416 S., 24 €.

Konstantin Sakkas

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