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Alice Schwarzer: "Frauen müssen sich unbeliebt machen"

In ihrem neuesten Buch attackiert Alice Schwarzer mit zwölf Essays Prostitution und Pornografie, die "epidemische Ausmaße" erreicht haben.

Köln/Berlin - Die kleine Alice wuchs vor mehr als 60 Jahren in einer Familie auf, "in der Frauen, Mutter und Großmutter, wenig Talent zur Mütterlichkeit an den Tag legten". Doch das Kind - noch im Windelalter - hatte Glück: Der junge Großvater "interessierte sich leidenschaftlich fürs Füttern, Wickeln, Aufziehen dieses kleinen Mädchens, das ihm da in sein Haus gepurzelt war". Aus der kleinen Alice ist die bekannteste deutsche Frauenrechtlerin Alice Schwarzer geworden, inzwischen 64 Jahre alt. In ihrem neuen Buch "Die Antwort" erklärt sie rückblickend: "Kein Wunder also, dass ich die Sache mit den Müttern, die als solche geboren sein sollen, und den Vätern, die zwei linke Hände haben, nie wirklich ganz verstanden habe."

In dem jüngsten Titel der Kölner Autorin und Publizistin, den sie in Berlin vorstellte, ermutigt Schwarzer die Frauen, bei allen in den vergangenen Jahrzehnten erkämpften Errungenschaften nicht locker zu lassen. Die noch junge Emanzipation sei noch nicht gesichert. "Schließlich ist alles sehr schnell gegangen, für manche zu schnell. Innerhalb von 50 Jahren - ein Wimpernschlag der Geschichte! - wurden 5000 Jahre verbrieftes Patriarchat gestürzt, zumindest auf dem Papier", schreibt die einst als "Männerschreck" und "frustrierte Tucke" beschimpfte Feministin. Die Emanzipation setzt nun zum zweiten Sprung an, wenn die Frauen nun nicht am Ball bleiben, droht der Rückfall, heißt es in "Die Antwort".

Hungersucht als Sucht Nr. 1 bei Frauen

Zwei von drei Männern seien Freier, behauptet die Frauenrechtlerin - inzwischen dekoriert mit Auszeichnungen und bei 80 Prozent der Bevölkerung bekannt. Bei der Pornografie - mit Bildern der Erniedrigung und Gewalt gegen Frauen - sei Deutschland der weltweit zweitgrößte Markt nach den USA. Schwarzer sieht verheerende Folgen: "PädagogInnen berichten heute von sechsjährigen Jungs, die Vergewaltigung spielen, und elfjährigen Mädchen, die beunruhigt sind, weil sie noch keinen Sex hatten. Das ist kaum noch aufzuhalten", schreibt die 64-Jährige.

Auch die Hungersucht als "Sucht Nr. 1 der Frauen in der gesamten westlichen Welt" prangert Schwarzer an. Im Land des Überflusses verhungerten Mädchen und Frauen, Top-Models ernährten sich von Salatblättern und Kokain. Den Garaus will sie auch hartnäckigen Vorurteilen - Frauen sind geschwätzig und orientierungslos, Männer aggressiv und rational - machen, für die es keine Beweise gebe. "Selbst vom Steinzeitjäger und seiner Beerensammlerin müssen wir uns wohl verabschieden." Eine zu lange Erziehungszeit und Teilzeit sind für Schwarzer "Frauen-Fallen", da so manche nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehre oder bei Gehalt und Aufstiegschancen zurückfalle.

Schwarzer warnt vor Kopftuch

Eindringlich warnt das Buch vor dem Versuch einer islamistischen Unterwanderung des deutschen Rechts- und Bildungssystems. Im Kopftuch sieht Schwarzer "die Flagge der Islamisten". Es werde vor allem von den zum Islam übergetretenen Konvertiten in Deutschland "militant" durchgesetzt. Aber nicht alle "Antworten" sind wirklich neu: Bei Pornografie, Diätwahn oder beim fundamentalistischen Islam erinnern einige Passage stark an Schwarzers Vorgänger-Titel "Der große Unterschied" (2000) und "Alice im Männerland" (2002). Beim Thema Abtreibung wiederholt sie ihre Meinung, dass nicht das Volk, sondern der Vatikan ("die Vatikan-Connection") in Deutschland entscheide.

"Mehr Tempo, mehr Druck und taffer" - scheint Schwarzer ihren Geschlechtsgenossinnen zuzurufen, angesichts von "Trippelschritten" bei der "inneren Emanzipation". Frau müsse auch riskieren, nicht als weiblich zu gelten und nicht von den Männern geliebt zu werden, meint die Galionsfigur des deutschen Feminismus. Die weibliche Welt müsse lernen, "sich mal unbeliebt zu machen", rät Schwarzer - und da weiß die streitbare Feministin aus eigener Erfahrung genau, wovon sie spricht. (Mit dpa)

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