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Aufgeschlagen, zugeschlagen: Von Austern und Affen

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“.

10) Uwe Tellkamp: Der Turm (Suhrkamp Verlag, 976 Seiten, 24,80 €)

Uwe Tellkamp erzählt in „Der Turm“ von den letzten sieben Jahren der DDR. Ich habe viele Einwände gegen diesen Roman: gegen seine in meinen Augen traditionshörige Schwerblütigkeit, gegen seine Machart und seine erheblichen Längen genauso wie gegen seine Familienfixiertheit und sein dumpf-deutsches Kunstwollen. Aber um zur Abwechslung mal über Maßstäbe zu sprechen: Gemessen am Rest dieser Bestsellerliste ist Tellkamps „Turm“ natürlich schieres Gold und ein literarischer Lichtblick!

9) Karen Rose: Todesbräute (Deutsch von Kerstin Winter, Droemer Knauer, 684 Seiten, 14,95 €)

Einiges in diesem auf seiner ganzen quälenden Länge in lupenreiner SMS-Prosa verfassten Krimi kommt mir ziemlich weit hergeholt vor. Zum Beispiel, dass der Bruder des ermittelnden Special Agent ein Serienkiller ist und die Eltern umgebracht hat, während seine potenzielle Geliebte sich als die Zwillingsschwester jener Frau erweist, die vor 13 Jahren auf exakt dieselbe Weise ermordet wurde wie das heutige Opfer. Sehr naheliegend erscheint mir allerdings der Verdacht, der IQ der Autorin könnte sich nach Verzehr einiger Austern kurzzeitig verdoppeln.

8) David Gilmour: Unser allerbestes Jahr (Deutsch von Adelheid Zöfel, S. Fischer, 256 Seiten, 18,95 €)

Ein Vater macht seinem 15-jährigen Sohn ein unmoralisches Angebot: Er darf mit der verhassten Schule aufhören, aber er muss sich mit ihm drei Filme die Woche anschauen. Wie man mit Hilfe von François Truffaut, Marlene Dietrich und Marlon Brando einen Menschen aus sich machen kann, erzählt der Kanadier David Gilmour in diesem autobiografischen Buch, das einen wie ein schön kitschiger Kinofilm dreimal lachen und dreimal weinen lässt. Ein gutes Buch!

7) Daniel Glattauer: Allen sieben Wellen (Deuticke Verlag, 224 Seiten, 17,90 €)

Die überflüssige Fortsetzung eines überschätzten Romans. Wer Ihnen einreden will, dieses Buch sei etwas Besonderes, weil ganz in Form von E-Mails erzählt, liest sicher auch gern all die tollen Fax-, Fernschreiber-, Telegramm- und Rohrpost-Liebesromane. Daher für alle Technikgläubigen unter uns: Diesen Verriss kann man nachlesen unter www.tagesspiegel.de.

6) Charlotte Roche: Feuchtgebiete (DuMont, 219 Seiten, 14,90 €)

Fängt stark an, lässt stark nach: Roches Geschichte um das einfältige Scheidungskind Helen Memel ist sprachlich zu arm und gedanklich zu schlicht. Im Schwäbischen nennt man so etwas einen Riesenseich. Sagen wir freundlicher: Hier ist jemandem ein kleines Malheur passiert.

5) Simon Beckett: Leichenblässe (Deutsch von Andree Hesse, Wunderlich Verlag, 415 Seiten, 19,90 €)

Der Brite Dr. David Hunter hat von Arzt auf Forensiker umgeschult und übt auf Serienkiller dieselbe Wirkung aus wie ein Magnet auf Eisenspäne. Mal ehrlich: Wollen Sie wirklich noch ein Buch über einen Serienkiller lesen? Dieses hier ist ja einigermaßen routiniert geschrieben, aber haben solche Romane nicht etwas wahnsinnig Fades, eben Serielles? Immer nur den lieben langen Tag oder auch die Nacht vor sich hin massakrieren: Das kann’s doch nicht gewesen sein! Lesen Sie doch statt dessen mal ein gutes Buch – zum Beispiel das auf Platz 4.

4) Daniel Kehlmann: Ruhm (Rowohlt Verlag, 203 Seiten, 18,90 €)

Ein in jeder Beziehung durchdachter Roman, der mal stimuliert, mal anrührt, mal verführt, ein Roman über Form, Funktion und Folgen moderner Massenkommunikation via Handy und Internet. Wenn schon E-Mail-Romane, dann bitte solche.

3) Sarah Kuttner: Mängelexemplar (S. Fischer Verlag, 272 Seiten, 14,95 €)

Ein Schulbuchbeispiel für Trittbrettfahrerei in der Literatur: Was Charlotte Roche die Intimhygiene, ist Sarah Kuttner die Diagnose Depression. Während bei Roche aber wenigstens noch die ersten 20 Seiten imponieren, nervt Kuttners narzisstische Trotzköpfchen-Heldin ab Seite eins durch ihre Erzählstimme, ununterscheidbar vom manisch aufgekratzten Tonfall einer Telefonquizsendung im Fernsehen.

2) Stephenie Meyer: Mit Bis(s) zum Abendrot (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen Verlag, 557 Seiten, 19,90 €)

Schock deine Eltern, heirate einen Vampir! Welch schöne Idee. Leider lieblos verschenkt, weil Stephenie Meyer eine in wirklich jeder Hinsicht – stilistisch, intellektuell, in ihrer Fantasie – beschränkte Autorin ist. Wie schafft man es nur, so dicke Romane über so schlichte Charaktere zu schreiben? Indem man wie Meyer jede Aussage in gnadenloser Redundanz verdoppelt, ja verdreifacht. Hier runzelt keiner die Stirn, ohne dass er im gleichen Satz „tief in Gedanken“ ist und obendrein noch eine „grübelnde Miene“ aufsetzt.

1) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Ende der Nacht (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen Verlag, 788 Seiten, 19,90 €)

In Band vier läuten für Bella Swan endlich die Hochzeitsglocken, der Auserwählte Edward darf sie beißen und schwängern, und für den leer ausgegangenen Werwolf-Nebenbuhler Jacob bleibt die Hoffnung auf das Töchterlein. Versteckt unter Meyers sämigem Sprachbrei findet sich stahlharte Ideologie: Mädels, spart Euch bis zur Hochzeit auf, verwandelt Euch daraufhin in willige Gebärmaschinen und überlasst alle wichtigen Entscheidungen Euren Altvorderen, ruft die Mormonin Meyer ihren Leserinnen zu. Hier ist jemand nicht von einem Vampir, sondern vom wilden Affen gebissen worden.

Die Sendung „Druckfrisch“ läuft  am Sonntag um 23.30 Uhr in der ARD, diesmal mit T. C. Boyle, Eoin Colfer, Juli Zeh.

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