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W die Bauernschaft ans Regime gebunden wurde: Bauernfänger und „Bauernführer“

Horst Gies folgt dem Auf- und Abstieg von Hitlers Landwirtschaftsminister Walther Darré.

Organisieren Sie mir die Bauern, ich lasse Ihnen freie Hand!“ So großzügig berief Adolf Hitler 1930 Walther Darré zu seinem „Agrarpolitischen Berater“. Weniger großzügig beschied er dessen Verleger Lehmann, der ihm Darré empfohlen hatte: „Ich stelle ihn mit Vergnügen ein, aber sorgen Sie für die Bezahlung!“ Die übernahm ein mittelständischer Unternehmer als Sponsor.

Der dankbare Empfänger, bis dahin parteilos, trat sogleich der NSDAP und der SS bei und gründete den „Agrarpolitischen Apparat“ der NSDAP. Mit ihm verhalf er der auf dem Land noch kaum verankerten Partei im März 1933 zu einem 52-prozentigen Wahlsieg bei der Landbevölkerung, damals immerhin einem Drittel der Wählerschaft. Die NSDAP verdankte ihm die zugkräftige Parole „Blut und Boden“, mit der Hitler 1933 auf Wahlplakaten posierte.

"Blut und Boden"

Der Slogan war keine Erfindung Darrés, sondern eine ebenso vieldeutige wie beliebte Metapher nicht nur der völkischen Bewegung; selbst der Sozialdemokrat August Winnig (1878-1956) sprach ohne Darrés rassistischen Hintergrund von „Blut und Boden als dem Schicksal der Völker“. Darré hatte die Parole bei seinem Weggefährten G.A. Kenstler und dessen Zeitschrift „Blut und Boden“ entliehen, der mit ihm 1930 für die NSDAP ein „Bekenntnis der deutschen Jugendbewegung zum Kampf um Rasse und Volkstum, Blut und Boden“ organisierte. 1933 überwarf er sich aber 1933 mit Darré, weil er die Jugendbewegung nicht mit einem „organisch begründeten Machtgedanken verbinden“ wollte. Den vertrat Darré konsequent.

Horst Gies, bis 2003 Professor für Didaktik der Geschichte an der Freien Universität, hat sich als Emeritus den Luxus geleistet, seine Frankfurter Dissertation von 1963 zu einer 700-Seiten-Biografie Darrés zu erweitern, erstaunlicherweise ein Desiderat der ausgeuferten NS-Biografik. Neu sind dabei nicht nur zahlreiche Quellen, sondern auch der 1963 ausgesparte Rückblick auf Darrés Biografie vor 1930, der ihn als eine eher „verkrachte Existenz“ als erfolgloser Tierzüchter, Saatguthändler und – seit seiner ersten Abhandlung über „Das Schwein als Kriterium für nordische Völker und Semiten“ – als dilettierenden Soziobiologen ausweist. Als Biografie eines Rassisten wäre das fast zu viel der Würdigung, aber Gies liefert begleitend eine umfassende Revue der Ideologien von Blut, Boden, Rasse und Lebensraum vor dem Hintergrund eines schon im 19. Jahrhundert missverstandenen Darwinismus, die den Wahn, Aufstieg und Fall des „Reichsbauernführers“ erst nachvollziehbar macht.

"Gleichschalten" aller Verbände

Es gelang Darré, die anarchische Landvolkbewegung und ihre Partei zu beerben und die zerstrittenen Bauernverbände „gleichzuschalten“. Für die Bauern war die NSDAP „eine letzte Hoffnung“, wie einer ihrer Wähler von 1933 bekannte: Er habe erst Stresemanns DVP, dann Landvolkpartei, dann Deutschnationale gewählt – „warum nicht mal NSDAP?“ So wurde aus dem erfolgreichen Bauernfänger Darré 1933 der „Reichsbauernführer“ und Minister für Landwirtschaft und Ernährung. Seinen glücklosen Vorgänger Hugenberg, den nach der Märzwahl 1933 geschwächten deutschnationalen Koalitionspartner Hitlers, hatte er bei dieser Gelegenheit aus dem Amt gedrängt. Jetzt war der Weg für seine eigentliche Agenda frei, die „Aufnordung“ deutschen Bluts und Schaffung eines rassereinen Landadels auf ausgewählten „Hegehöfen“ mit unveräußerlichem Grund und Boden. Darin wusste er sich einig mit seinem alten Freund Heinrich Himmler, den er für den Ausbau der SS als rassenbewusste „Sippengemeinschaft“ gewann. Bis 1938 leitete Darré – unter seinen vielfachen Ämtern – auch das „Rasse- und Siedlungshauptamt“ der SS, bis er sich auch mit Himmler überwarf, weil der ihm Kompetenzen in der Siedlungspolitik abnahm und ihn wegen „Arbeitsüberlastung“ ablöste.

Ende vor dem Ende

Da war sein Stern längst im Sinken, nachdem sein privilegierter „Reichsnährstand“ mehr Kosten als Erträge produzierte und im zweiten Vierjahresplan der Kuratel Görings unterstellt wurde. Nach einem Sportunfall 1936, der ihn für Monate absentierte, nahm sein Staatssekretär Herbert Backe das Heft „geschäftsführend“ in die Hand. Formell wurde Darré 1942 von Hitler erst „beurlaubt“, dann 1944 durch Backe ersetzt.

Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass ihm nach 1945 in Nürnberg „justiziabel nicht nachgewiesen“ wurde, sich „persönlich die Hände schmutzig gemacht zu haben“. Von sieben Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit musste er nur ein einziges Jahr in Landsberg absitzen. Die Stadt Goslar, deren Ehrenbürger er gewesen war, beerdigte ihn 1953 feierlich; die Ehrenbürgerschaft wurde ihm erst 2013 aberkannt.

Horst Gies: Richard Walther Darré. Der „Reichsbauernführer“, die nationalsozialistische „Blut und Boden“-Ideologie und Hitlers Machteroberung. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2019. 746 S., 39 €.

Hannes Schwenger

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