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Heinz Brandt

© Ullstein

Biografie: Linker ohne Heimat

"Widerstand als Lebensprinzip": Eine Biografie würdigt den undogmatischen Sozialisten Heinz Brandt.

Walter Ulbricht grollte: Eine „typisch kapitulantenhafte Brandt-Rede“ sei der Entwurf einer Rede des Berliner SED-Sekretärs Hans Jendretzky zum 1. Mai 1953. Der Tadel war ein Seitenhieb auf Jendretzkys Mitarbeiter Heinz Brandt, der die Rede mit ausgearbeitet hatte. Man kannte sich schon aus den letzten Jahren der Weimarer Republik, als der Jungkommunist Brandt wegen seiner Kritik an der „ultralinken“ Politik seiner Partei als „Versöhnler“ galt. Seine antifaschistischen Lehrjahre verbrachte er, doppelt verfolgt als Jude und Kommunist, in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald, während Ulbricht seinen Lehrgang als Stalinist im Moskauer Hotel Lux absolvierte.

Der SED-Chef war im Frühjahr 1953 fest entschlossen, den Aufbau des Sozialismus mit verschärftem Druck voranzutreiben. Die Quittung erhielt die SED am 17. Juni, aber schon „der Verlauf der 1. Mai-Demonstration kündete allen, die sehen konnten, die heraufkommende Katastrophe an“, wie sich Heinz Brandt erinnerte. Er hatte mit seiner „Brandt-Rede“ zwar recht, aber Ulbricht die Macht in der DDR behalten. Grund genug für Brandt, diese 1958 zu verlassen, um der drohenden Verhaftung zu entgehen, nachdem er 1954 und 1957 bereits zwei Parteirügen mit zwei Jahren Funktionsverbot für leitende Parteiämter erhalten hatte.

Dass auch die Staatssicherheit gegen ihn ermittelte, wie man nach der Wende von 1989 erfuhr, hätte ihn nicht sonderlich überrascht. Schließlich stand er seit 1956 in Kontakt mit dem Ostbüro der SPD und wurde deswegen im Juni 1961 aus West-Berlin entführt und vom Obersten Gericht der DDR zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Zweieinhalb Jahre musste er in Hohenschönhausen und Bautzen absitzen, bis er nach internationalen Protesten in den Westen entlassen wurde; der Titel seiner Autobiografie „Ein Traum, der nicht entführbar ist“ spielt darauf an.

Der Traum, von dem dort die Rede ist, war der Traum von einem demokratischen Sozialismus und einem Dritten Weg zwischen Ost und West. Der führte Heinz Brandt noch in die Reihen der SPD und der Grünen, bevor er 1979 aller Parteipolitik Lebewohl sagte. Die Erfüllung eines anderen Traumes hat er nicht mehr erlebt: die Wiedervereinigung, vier Jahre nach seinem Tod 1986. Ein Jahr vorher schrieb ihm noch Helmut Kohl: „Ihre Erfahrungen sind auch für den heute handelnden Politiker von größter Bedeutung.“ Das kann auch 2007 gelten, wenn sich Postkommunisten in der Gestalt einer neuen Partei wieder zu Wort melden.

Politische Heimat in einer Partei zu suchen, hielt Heinz Brandt spätestens mit seinem Abschied von der SED für obsolet. Sein Biograf Knud Andresen zählt ihn mit Recht zur „,heimatlosen Linken’, die zwischen Gewerkschaften, Sozialdemokratie, marxistischen Kleingruppen oder intellektueller Ungebundenheit oszillierte. Obwohl Brandt gut 20 Jahre Mitglied der SPD war, sah er darin nicht seine politische Heimat, sondern eine notwendige Organisationsform“. Das Gleiche gilt für die Gewerkschaft, der er bis zu seiner Pensionierung 1974 als Redakteur der Zeitschrift „Metall“ diente. Umso erfreulicher, dass die Biografie von einem sozialdemokratischen Verlag veröffentlicht und als Dissertation von der Gewerkschaftsstiftung gefördert wurde. Darf man daraus schließen, dass auch sie „Widerspruch als Lebensprinzip“ für notwendig halten?

Das war nicht immer so. Der Vorstand der IG Metall eröffnete noch 1977 gegen das Mitglied Brandt ein Untersuchungsverfahren, weil er den Gewerkschaftsbürokraten vorwarf, „mit den Managern der Atomindustrie gemeinsame Sache“ zu machen. Das Verfahren wurde eingestellt – auch wegen der 5000 Unterschriften, die eine Initiative für ihn gesammelt hatte. Widerspruch als Erfolgsgeschichte.

– Knud Andresen: Widerspruch als Lebensprinzip. Der undogmatische Sozialist Heinz Brandt (1909–1986). Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2007. 376 Seiten, 34 Euro.

Hannes Schwenger

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