zum Hauptinhalt
305429_0_032353b6.jpg

© p-a/ dpa

Brigitte Kronauer: Süß sang seitlich die Nachtigall

Wegschauen oder hinschauen: Brigitte Kronauers Roman „Zwei schwarze Jäger“

Ein Roman, erfüllt von homerischem Gelächter. Galliger und grotesker kann man von den dunklen Seiten des Schriftstellerberufs kaum erzählen. Brigitte Kronauers „Zwei schwarze Jäger“ ist ein Buch aus dem Geist der Komödie, die die Tragödie nicht scheut. Der erste von drei Teilen zeigt die Schriftstellerin Rita Palka bei einer Lesung im grünen Kabinett des Schlosses im Provinzstädtchen W., vor einem in Ehrfurcht erstarrten, dünn besetzten Auditorium beim Vortrag der Geschichten „Zwei schwarze Jäger“ und „Die Grotte“. Die erste handelt von der gleichnamigen Skulptur aus der Villa Borghese: zwei halbnackte Jäger mit afrikanischen Gesichtern, gekettet an zwei Löwen und von einem Paar betrachtet.

Nach der Pause in dieser „heiteren Stätte der Kunst“ hat sich die Zahl der wenigen Zuhörer weiter reduziert, und Rita Palka schaut in müde Augen. Wütend legt sie das Manuskript über den Besuch der Tiberius-Grotte bei Neapel beiseite und redet drauflos: zunächst über die Höhle und die darin gefundenen Marmorstatuenfragmente des Odysseus, während sich das Publikum mehr für eine Fellatio in einer anderen Höhlenecke interessiert. Die Autorin findet aber ohne Umweg in die Schrebergartenbude ihres Vaters, der dort häufig mit dem alten Wilhelm Franzbauer aus dem Riesengebirge Schach spielte, einem Geschichtenerzähler, dessen Biografie quer durchs 20. Jahrhundert, von Schlesien bis Schleswig, reicht.

All das improvisiert Rita und streut auch manche Publikumsbeschimpfung in ihre angebliche Lesung aus dem Manuskript ein. Im Blick auf die „gleichmütig gähnende Mundhöhle der Schlossfrau“ lässt sie ihr literarisches Pendant sagen: „Da, in der sehr niederschmetternden Sekunde, als sie in das zum Gähnen aufgerissene weibliche Maul starrte, schossen alle Widerwärtigkeiten ihres Berufs in diesem einen Schlund zusammen.“

Veranstalter Schüssel leitet sie am irritierten Publikum vorbei in ihr Schlafzimmer im Schloss, wo er eine Porzellan-Kopie der Skulpturen der „Schwarzen Jäger“ deponiert hat. Sie stehen ihm für den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit, gerade auch in der Liebe. Zu später Stunde noch sucht er im Schlafzimmer der perplexen Autorin das Gespräch, als seine wütende Ehefrau, die „Schlossfrau“, ins Zimmer stürmt und den „Schund“ der Skulptur, wie sie sagt, zertrümmert. Der Schmerz ihres Mannes über den Verlust lässt sie nicht unberührt. Alle drei beginnen mit der Bergung der Scherben.

Wie in ihrem letzten Roman „Errötende Mörder“ ist Brigitte Kronauer auch in „Zwei schwarze Jäger“ der „Fühllosigkeit“ auf der Spur, dem Besonderen, dem Einzigartigen, der Zeit und dem Zerfall geraubt, „in einer Welt der notorischen Vertausendfachung und Wegwerfmentalität“, dem „Verschwinden von Haus, Tier, Mensch“, der Kraft der Erinnerung, der Liebe und der Wirkung von Natur- und Kunstbetrachtung auf den Menschen. War aber „Errötende Mörder“ von der Auflösung des Sozialen durch die Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse grundiert, so ist der Fokus jetzt auf die Beziehung von Mann und Frau und das Verhältnis von Kunstwerk und Betrachter gerichtet. Rita Palka taucht dabei – außer im ersten Teil – nur sporadisch auf. Neben ihr nennt das vorangestellte Personenverzeichnis zwei Dutzend weitere Figuren.

Die Teile zwei und drei öffnen sich einem Reigen von kurzen Geschichten, Erzählungen und Novellen. Wieder spielt die Autorin mit häufig wechselnden Perspektiven und mit der Erzählung in der Erzählung. Gelegentlich spricht sie auch den Leser unmittelbar an. Der Gestus des romantischen Romans, seine Naturbegeisterung und seine Sprache, scheint durch: „Süß sang seitlich der steinernen Stufen zu üppigem Flieder- und Goldregenduft in den Büschen die Nachtigall.“ In zahlreichen Brechungen steht das Triviale neben dem Bedeutungsvollen, das Kunstvolle neben dem Profanen, das Mythische neben dem Ordinären, das Kitschige neben dem Wahren. Es sind Briefe eingestreut, mal ein Lied. Und es schließt sich eine faszinierende Erzählung über Maria Aurora von Königsmarck als Mätresse des Kurfürsten von Sachsen und König von Polen August des Starken an.

„Das fiebrig Unersättliche“ teilen die beiden miteinander, sie erzwingt sich, „dass alles ein einziger Höhepunkt war“, lebt sich aus im „alles oder nichts“ und verlässt ihn, trotz des dabei empfundenen Schmerzes, rechtzeitig. Im Weiteren Geschichten und Novellen, existenzielle Grenzgänge aus dem Alltag der Menschen von nebenan. Der Tod des 87-jährigen Albrecht Schöffel, der vergeblich mit dem Kindereimer gegen das Regenwasser im Keller ankämpft – sein Sterben ist eine anrührende Reise in die Erinnerung an das, was er geliebt hat, seine Frau, die beiden Töchter, das Hündchen Otto, Natur, Wald und Moos.

Die Geschichte der naiven, aber nicht dummen Wally, die zweimal mit Albrecht Schöffel schlief, zieht sich in mehreren Erzählungen durchs Buch. Sie handeln von enttäuschter Zuneigung, vom Leiden an der Verwahrlosung der Menschen und von der Zutraulichkeit, der Schönheit und vom Geheimnis der Tiere. Die immer freundliche und hilfsbereite Wally outet sich als Doppelmörderin.

Ein Gegenpart zu ihr ist der Witwer Leo Graubube, ein Jedermann. Die Scheußlichkeiten der Welt sind ihm nur noch en gros zu ertragen, Details blendet er aus, auch wenn er sich gelegentlich verschämt an ihnen delektiert. Und wenn er wütend wird, weiß er sich in eine „benebelte Ohnmacht“ zu retten, die er mit dem Wort „Menschenliebe“ bezeichnet. Das ist unser aller Ignoranz auf den Punkt gebracht: wegschauen, heimlich wieder hinschauen, die eigene Hilflosigkeit konstatieren und weitermachen wie bisher. Uschi sitzt sonst im Campingwagen an der Bundesstraße, im Moment steht sie dem Maler Grosse Modell und hört kluge Sätze wie „Die Erlebnisse stauen sich in der Erinnerung wie im Gemälde“. Seine ehemalige Geliebte Stefania weiß über ihn zu berichten: „Er ist ein Verfechter der Oberfläche. Die Sachen sollen sich selber genügen, nichts Tiefschürfendes dahinter.“

So gut und böse, so klug und dumm, so alltäglich und besonders, so freundlich und herzlos sind die Menschen, die uns Brigitte Kronauer in ihren Romanen vorführt. Am Ende fällt Rita Palka ein geschwollen formulierter Brief von Schüssel in die Hände, dem Veranstalter der Dichterlesung im Schloss von W.: „Der unvollkommene irdische Stoff setzt sich dem Ideal aus, um einen Abdruck, ein Abstrahlen in seiner Not zu erhalten, liefert sich der segensreichen Erinnerung an eine Prägeform aus, um nicht zu zerfließen im Chaos seines Elends. Man könnte auch sagen, er, der Stoff, möchte mit dem Nagel seiner utopischen Existenz wenigstens am äußersten Zipfel seines hinfälligen Daseins in die Ewigkeit eingeschlagen werden. Verrückt?“ Das muss wohl jeder Leser dieses irritierenden Buches für sich selbst beantworten.

Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 2009.

286 Seiten, 21,90 €

Wend Kässens

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false