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Musikunterricht, Geigenunterricht in der Waldorfschule "Rudolf Steiner" in Berlin Dahlem für die Schulseite Schule, Musik, Geige, Kinder, Schüler.

© Kitty Kleist-Heinrich

Buch über die Geige: Ein Lob der Vielseitigkeit

Der Historiker David Schoenbaum hat eine beeindruckende Kulturgeschichte der Violine geschrieben. Eine Rezension.

Ein Buch wie eine Abenteuerreise. Dabei verfügt David Schoenbaum als Historiker über einen gefestigten Ruf. Seine Studie „Die braune Revolution“ machte in den sechziger Jahren Furore, weil sie zum ersten Mal den sozialen Modernisierungsschub zum Thema machte, der mit dem „Dritten Reich“ auch einherging – und damit das bis dahin politisch dominierte Bild des Regimes sozialhistorisch öffnete. Sein Buch über die „Spiegel-Affäre“ fand auch das Lob von Rudolf Augstein. Doch außerdem ist der emeritierte Professor für Geschichte an der University of Iowa ein passionierter Amateurgeiger. Die Folge davon ist ein 730-Seiten-Wälzer. Er heißt lapidar „Die Violine“.

Rund zwanzig Jahre lang dauerte Schoenbaums Exkursion in die Welt des – wie er sogleich im Untertitel seines Buches erklärt – „vielseitigsten Instruments“ der Musikgeschichte. Wes Geistes Kind da unterwegs war, verrät schon die Einleitung, in der das Instrument in den Kontext der Globalisierung gestellt wird, die Erfindung des Buchdrucks und die rasend schnelle Verbreitung der Kartoffel ihren Auftritt haben, während mit Beispielen aus der Sozial- wie die Kolonialgeschichte die Einzigartigkeit des Instruments koloriert wird. Und mit Benedikts auf die Geige bezogenen Frage aus Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ – wie es denn sein könne, „dass Schafdärme die Seele aus eines Menschen Leib ziehen können“ –, nähert sich Schoenbaum dem Rätsel der Unvergleichbarkeit des Geigenklangs.

Die Lust am Musik-Feuilleton sprießt überall

Was entstanden ist, ist kein lexikalisches Handbuch, obwohl ein Personenregister es auch für die normale Neugierde brauchbar macht. Es ist eine ambitionierte Kulturgeschichte, und in Wahrheit ist es eine Liebeserklärung. Keine verschämte, sondern fallweise eine unverschämte, die den Leser immer wieder mit Kuriositäten und Anekdoten, Pointen und mit Ausflügen auf Nebenschauplätze überschüttet. Das nimmt dem Buch nichts von seiner Außerordentlichkeit. Schoenbaum hat eine beeindruckende Fülle von Forschungsergebnissen, Lesefrüchten und Gesprächen zusammengetragen – nicht zuletzt auch in den Berliner Archiven, zumal dem des Instituts für Musikforschung. Die Lust am Musik-Feuilleton, die überall zwischen Thesen, Erkenntnissen und Informationen sprießt, lenkt nicht ab – oder nur dann und wann –, sondern fordert vor allem das Staunen darüber heraus, worauf ein origineller Kopf wie Schoenbaum bei seinen Recherchen alles gestoßen ist.

Er geht sein Thema auf ausgedehnten Touren, ja, Kraftmärschen an, quer durch das Feld der Geschichte des Instruments, seine Entwicklung und seine technisch- praktischen Aspekte. Zum Beispiel wird die Geschichte des Geigenbaus zu einem faszinierenden Gemisch aus Familiengeschichten, zumal der Lombardei zu Beginn des 16. Jahrhunderts, und dem aufregenden sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Aufbruch der Epoche; Schoenbaum konstatiert ein „goldenes Zeitalter“, ohne dessen Nachbarschaft zu Krisen und Kriegen zu unterschlagen. Dem Geigenhandel sind gut hundert Seiten des Buches gewidmet – eine spannende Geschichte mit kriminellen Einschlägen. Das Kapitel über das Geigenspiel entfaltet sich als Kaleidoskop von Spielern und Lehrern, von Ausbildungsstätten und Schulen – mit einem Schwerpunkt bei Joseph Joachim, dem großen ungarisch-deutschen Geiger, dessen Tod 1907 der „New York Times“ nicht nur einen Nachruf, sondern auch einen Leitartikel wert war. Dem großen Virtuosen und Pädagogen, Gründungsrektor der Berliner Musikhochschule, gehört David Schoenbaums besondere Sympathie; er steht für ihn an der Pforte zur neuen Musik- und Konzertkultur, auch der Berliner Musikkultur.

Die Rolle der Geige in Dichtung, Malerei und Film

Wenn etwas an diesem Buch zum Problem wird, dann ist es Schoenbaums Drang, nichts auszulassen. Zur breiten Erörterung der großen Geiger-Karrieren treten die Schatten – oder grellen Lichter –, die Politik und Geschäfte auf das Instrument werfen, und auch die Rolle der Geige in Dichtung, Malerei und Film wird gewürdigt. Hätte man sich mehr Begrenzung der Forschungs- und Erzählfreude des Autors gewünscht? Manchmal schon. Aber vielleicht hätte solche Selbstregulierung dem Buch einiges an Unterhaltsamkeit und Witz gekostet, die Schoenbaums Stärke ausmachen. Und möchte man zum Beispiel auf die hübsche Antwort verzichten, die der Geiger Rudolf Kolisch auf die Frage gab, wohin die Musik sich entwickele? Der aus Wien stammende Emigrant, der als Lehrer an einer Universität im Mittleren Westen Schoenbaums Musikleidenschaft erweckte, bekannte, das wisse er nicht: „Aber hätten sie mich das zu Schumanns Zeiten gefragt, hätte ich auch keine Antwort gehabt.“

David Schoenbaum: Die Violine. Eine Kulturgeschichte des vielseitigsten Instruments der Welt. Bärenreiter Metzler, Kassel/Stuttgart 2015. 730 Seiten, 49,95 Euro.

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