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Eklat um Dissidenten-Schriftsteller: Das eiserne Schweigen

Schon Wochen vor der Frankfurter Buchmesse war klar, dass die Partnerschaft mit China ein Balanceakt wird. Nun gerät sie zum Eiertanz. Ein Kommentar.

Ein kulturelles Olympia soll die Buchmesse werden, heißt es aus China. Wie im vergangenen Sommer will das Land vor allem eines: Anerkennung. Das Getöse wird enorm sein. Für fünf Millionen Euro lässt die Regierung ausgewählte Autoren nach Deutschland fliegen. Und auch fernab der logistischen Vorbereitungen wird einiges getan, um uns das Image des großen, friedlichen Kulturlands glauben zu machen. Was wir hierzulande gemeinhin Zensur nennen, heißt in Chinas kulturpolitischem Vokabular "Harmonisierung".

Brüche dürfen nicht sichtbar werden. Das Bemühen um Harmonie offenbart sich nun auch in der jüngsten Drohung, ein geplantes Symposium zu boykottieren, sollten die Schriftsteller Bei Ling und Dai Qing daran teilnehmen. Thema der Veranstaltung: "China und die Welt – Wahrnehmung und Wirklichkeit". In Frankfurt erfüllte man Chinas Wunsch, die Autoren wurden wieder ausgeladen. Und dieser vorauseilende Gehorsam macht allmählich deutlich, auf welch tönernen Füßen die diesjährige Buchmesse zu stehen scheint.

Man wolle keinen Dialog über, sondern mit China führen, sagte Jürgen Boos, der Direktor der Messe. Deshalb müsse man diesen Kompromiss eingehen. Peter Ripken, der Leiter des Symposiums, erklärte, es gehe nicht um eine Tagung mit "Dissidenten und Sinologen". Doch wer, wenn nicht die Kritiker, könnten etwas zum Verhältnis innerchinesischer Wahrnehmung und der Wirklichkeit beitragen. In einer offiziellen Ankündigung zum Symposium heißt es, dort solle "der Ton für die Hunderte nachfolgenden Veranstaltungen" gesetzt werden.

Wehe uns, wenn das stimmt. Dann müssen wir uns auf eine Messe gefasst machen, auf der China sich ein paar Tage als Nabel der Literatur fühlen kann. Das Land wird uns seine Auflagenzahlen präsentieren, von den Tausenden Büchern erzählen, die jeden Tag gedruckt und verhökert werden. Und wir sollen bitte staunen statt zu fragen.

Obwohl man schon gerne wissen möchte, warum China den internationalen Schriftstellerverband PEN nicht anerkennt und der eigene von inhaftierten Dissidenten nichts hören will. Warum mit stählerner Ruhe bestritten wird, dass die Regierung den Schriftsteller Liu Xiabo seit Monaten festhält. Dass der weltweit bekannte Künstler Ai Weiwei staatlich verfolgt wird. Und dass der Autor Yan Lianke seiner kritischen Romane wegen keinen Verlag findet und nicht nach Frankfurt darf. Solche Fragen nach Redefreiheit und Menschenrechten sind Legion.

Jürgen Boos sagte, die Messe im Oktober sei das richtige Forum dafür. Doch die Beschwichtigungspolitik wenige Wochen vor der Eröffnung deutet in eine andere Richtung. Dass die Partnerschaft der diesjährigen Messe ein Balanceakt werden würde, haben die meisten geahnt. Nun gerät sie zum Eiertanz.

Kurz klingen die Worte von Chen Danqing wieder im Ohr. Der chinesische Lyriker bemerkte unlängst in der Süddeutschen Zeitung: "Ihr denkt immer noch, dass ihr im Dialog mit China das System ändern könnt. China ändert euch." Es ist zu hoffen, dass die Buchmesse kein Fest eisernen Schweigens wird.

Quelle: ZEIT ONLINE

David Hugendick

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