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Essays: Eulenpirsch im Central Park

Michael Greenbergs wundervolle New-York-Essays

Von Gregor Dotzauer

Niemand sollte sich die Haare raufen, Michael Greenberg bisher übersehen zu haben. Die 24 Geschichten „aus dem Leben eines Schriftstellers in New York“, die „Betteln, Borgen, Stehlen“ sammelt, sind erst die zweite Buchveröffentlichung des 58-jährigen Autors. Die erste, ein persönlicher Bericht über den „Tag, an dem meine Tochter verrückt wurde“ (Hurry Down Sunshine), war zwar in den USA vor zwei Jahren ein Erfolg, ging hierzulande aber fast völlig unter. Zerknirschung lohnt auch deshalb nicht, weil sich Greenberg selbst schon zerknirscht genug gibt: als ebenso zäher wie lächerlicher Held eines jahrzehntelangen Schreibwunsches, der von einer künstlerischen Niederlage in die nächste führte.

Erst versuchte ihn sein Vater, ein jüdischer Schrotthändler, in den Familienbetrieb zu prügeln, dann hielten ihn die ökonomischen Zwänge eines verfrühten Familienlebens von der Literatur ab, und schließlich stand er sich in seiner Schreibklausur selbst im Weg. Wahrscheinlich wäre auch aus diesem Buch nichts geworden, wenn man es Greenberg nicht als Kolumne im Londoner „Times Literary Supplement“ portionsweise abverlangt hätte. Jede Hürde, so erfährt man, eröffnete ihm ein Stück mehr von New York, das ihn mit Aushilfjobs aller Art quer durch die boroughs jagte. Immerhin hat er es dabei von der South Bronx in die Upper Westside geschafft. Neugier und Scharfsinn sind ihm dabei geblieben. Seine Texte haben nichts von pointenseliger Nettigkeit. Sie leben im Gegenteil von einem stillen Einfühlungsvermögen in das Gewaltsame dieser Metropole und die Schmerzen, die Menschen einander zufügen können. Greenberg schreibt aufs Äußerste eingedampfte personal essays, die zwischen anekdotischer Stadtgeschichte und Autobiografie oszillieren.

Zusammen mit ihm betritt man eine Suppenküche der Broadway Presbyterian Church, wirft einen – indirekten – Blick auf den von Strafgefangenen gepflegten Armenfriedhof von Hart Island, geht auf Eulenpirsch im nächtlichen Central Park oder streift durch Greenwich Village. Dies ist kein Reiseführer. Aber man gehe damit hinaus und sehe das darin beschriebene und teils auch schon wieder untergegangene New York mit neuen Augen.

Michael Greenberg: Betteln, Borgen, Stehlen. Aus dem Leben eines Schriftstellers in New York. A. d. Amerik. v. Hans-Christian Oeser. Hoffmann und Campe, Hamburg 2010. 224 Seiten, 20 €.

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