zum Hauptinhalt

Familie: Ursula Priess schreibt über ihren Vater Frisch

Achtzehn Jahre, nachdem Max Frisch 1991 gestorben ist, antwortet ihm seine älteste Tochter Ursula Priess. Oder genauer: Sie antwortet dem, was der Vater an Schmerz, offenen Stellen, unbeantworteten Fragen, Momenten der Vertraulichkeit und der Befremdung in ihr hinterlassen hat.

Max Frisch hat in seinem Werk viele Rollen besetzt und sie miteinander in einen ewigen Kampf um die Ichbilder geführt. Das Muster des Autors als Familienvater war dabei nicht sehr ausgeprägt. Es war eine eher befehdete Erfindung: Familienleben hielt er in der produktiven Phase für ein Hemmnis. Die Vereinbarkeit seiner Ehe mit der Schreibexistenz zerbrach früh; nach „Stiller“ trennte sich Frisch 1954 von der Frau und seinen drei Kindern. Zweifel und Schuldgefühle blieben zurück. Im Tagebuch und in den Romanen finden sich jedoch auch Sätze schneidender Kälte gegenüber dem Anhang.

Achtzehn Jahre, nachdem Max Frisch 1991 gestorben ist, antwortet ihm seine älteste Tochter Ursula Priess. Oder genauer: Sie antwortet dem, was der Vater an Schmerz, offenen Stellen, unbeantworteten Fragen, Momenten der Vertraulichkeit und der Befremdung in ihr hinterlassen hat. Wir wissen zwar einiges über den Souverän des Identitätszweifels, den Schweizer Streitgeist, den Don Juan allerorten zwischen Zürich und Montauk, doch gibt es im Fach der Enthüllungen nie genug Stoff. Deshalb werden diese Erinnerungen von einer Schaumkrone sensationeller Erwartung getragen. Aber sie wird rasch zusammenfallen. Diese dichte wie unaufgeregte Prosa bietet anderes: die Geschichte einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung in den Farben der Vorsicht und der Behutsamkeit.

Er ist „Max“, der von außen gesehene, und er ist der geliebte und befremdliche Vater, „in meiner Erinnerung ein kaum zu verortender Solitär“. Die Memorabilien der ersten Hälfte erscheinen in einem weiteren Spiegel: Die Erzählerin hat eine Liebesaffäre. In die Erzählung davon sind die Erinnerungen an den Vater montiert, bis sich eine Verstrickung herausstellt. Der Freund, den sie in Venedig trifft, ist jenes Phantom der Eifersucht, das Frisch in seiner Liebe zu Ingeborg Bachmann quälte. Der Unbekannte flieht, fortan geraten die Erinnerungen in Fluss. Ruckende Einzelbilder tauchen auf: das erste Bilderbuch, das der Vater aus Prag mitbringt, die Kindheit mit einem Satzspiel zwischen beiden über das Sterben, die Bewunderungen für den, der in der Schweiz „unausweichlich omnipräsent“ ist, die Lust und die Last, den Namen des Vaters zu tragen, dafür ausgezeichnet und befehdet zu sein, der „Frischling“ als Prinzessin der Züricher Theaterszene, seine Trauer beim Tod Brechts, Ingeborg Bachmann, mit der er von 1958 bis 1962 zusammen war.

Und dann, als Einspruch, die Fremdheiten. Der Blick des Vaters geht durch die Tochter hindurch, „anderswohin“, für ihre Lieben spart er noch die mindeste Aufmerksamkeit ein, seine Achtlosigkeit wirkt verstörend. Als die Tochter 1966 die Schweiz verlässt und ein heilpädagogisches Engagement beginnt, interessiert er sich nicht dafür. An seinen Aufbrüchen hat sie keinen Anteil haben dürfen; immer schon habe sie für ihn zu dem gehört, „was ihn mit Angst besetzte, Angst vor Verstrickung, vor Fesseln, vor Impotenz auch; ich gehörte zu dem, was er zurücklassen musste, um zu überleben…“ Mit seiner verstörenden Wut, oft auch gegen sich selbst, ist kaum umzugehen. Mit „Montauk“ führt die Entfremdung zum Bruch. Ein Gefühl der Ohnmacht der lebenden Person gegenüber den Schriftsätzen über sie hat überhand genommen. Erst im Todesjahr gelingt etwas von dem, was hätte sein können: Offenheit und Rückhaltlosigkeit. Das Bild des Sterbens gehört zu den eindrucksvollsten in diesem Buch: wie er seinen Tod annahm, härter gegen sich selbst als je zuvor.

Sätze können einem als Trauma widerfahren, wenn man sich in ihnen als literarisches Material benutzt sieht. Womöglich deshalb hat Priess sich nach dem Tod ihres Vaters so viel Zeit genommen, dieses Buch zu veröffentlichen. Aber das lange Schweigen enthält einen doppelten Gewinn: Sie hat sich nicht als Opfer dargestellt und sie hat dem Enthüllungszorn widerstanden. Es ist frei von jedem Seelenstriptease, von der mit dem Wort „Schuld“ operierenden Anklage weit entfernt. Die spezifische Souveränität dieses schmalen Buchs, das Tagebuchnotizen mit der Autobiographie, Rechenschaft mit Fiktion verbindet, besteht darin, dass es kein festes Vaterbild zeichnet. Die Bilder vom Vater reiben sich aneinander. Die Spiegel, die sie aufstellt, reflektieren keine durch Beschreibung stillgelegte Überlebensgröße, sondern changierende Möglichkeiten, was und wie Vater und Tochter miteinander gewesen sind.

Das Weberschiffchen der Erinnerung springt zwischen den Zeiten, der Wechsel von „Ich“ zur dritten Person pendelt Bekenntnisse mit Distanzen aus, die kurzen Abschnitte fügen sich zum Kaleidoskop. Ursula Priess nimmt Erzählmuster und Perspektivenwechsel des Frisch-Werks auf, bewegt sich in seiner künstlerischen Spur. Mit dieser Huldigung an den steinernen Gast, der dieser Vater auch gewesen sein mag, bezwingt die Tochter die Schmerzen, die aus dem Stoff herrühren.

Ursula Priess: Sturz durch alle Spiegel. Amman, Zürich 2009. 172 Seiten, 17, 90 €..

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false