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Schriftsteller: Franz Fühmann: Erinnerung brennt

Kaum einer hat so radikal bekannt, wie er wurde, was er ist. Wut und List: ein Gedenkblatt für den Dichter Franz Fühmann zum 25. Todestag.

In der DDR wie in den literarischen Kreisen Westdeutschlands war er ein bekannter, viel gelesener, als Vorleser begehrter und als Gesprächspartner gesuchter Autor. Den sozialistischen Autoritäten spätestens seit der Unterschrift unter die Biermann-Petition suspekt, trat Franz Fühmann listig und unermüdlich gegen alle Formen von Zensur auf, deren Vorhandensein eines der offensichtlichsten Staatsgeheimnisse war. Dabei hatte er keineswegs als Kritiker der Verhältnisse begonnen.

Er war einen langen Weg gegangen, den allerdings niemand literarisch so ausgeleuchtet hat wie er selbst. In der deutschen Literatur nach Wolfgang Borchert, in jener der Generation Fühmanns, deren männliche Angehörige „für Führer, Volk, Vaterland“ an die Front gingen, hat kaum einer so radikal und präzise ausgesagt, wie er geworden und vor allem, wie er anders geworden ist.

1982 war nach zermürbenden Auseinandersetzungen sein wohl wichtigstes Buch erschienen: „Vor Feuerschlünden“. Zuerst ein Essay über den Dichter Georg Trakl, ist es dann Autobiografie. Es erzählt, was die Begegnung mit Gedichten in einem Leben bewirken kann, am Beispiel dessen, was diese bei ihm selbst in Gang gesetzt hatte inmitten der blutigen Mitte des 20. Jahrhunderts. Es diskutiert Nazi- und Stalin-Ideologie aus der Innenschau. Und es seziert ignorante Kunst- und Literaturauffassungen, die zu ihrer Zeit über existenzzerstörende Macht verfügten.

Im selben Jahr erschien in der DDR das erste Mal eine kleine Sammlung von Texten Sigmund Freuds unter dem Titel „Trauer und Melancholie“. Die Veröffentlichung einiger „Essays“ Anfang der achtziger Jahre, gefolgt von einer größeren Auswahl wiederum in belletristischer Verpackung, war absurd, aber ohne Fühmann wäre Freud wohl bis zum Schluss auf dem realsozialistischen Index verblieben. Und so erschien 1983 das einzige Buch des großen Dichters Wolfgang Hilbig im Osten, im Leipziger Reclam-Verlag.

Ein gewaltiges Zähneknirschen im Apparat war vorausgegangen. Fühmanns Bravour hatte allen Widerstand überwunden – man lese dazu seine Eloge an den Jüngeren, die fiktive Rede „Praxis und Dialektik der Abwesenheit“. Dass solcher Einsatz auch Energie forderte und nahm, dass – man gestatte mir das persönliche Wort – Fühmanns andauernde Sorge um uns, um nachfolgende Autoren ihm Zeit für das eigene Werk und sogar Gesundheit raubten, das sahen und wussten wir schon.

Ein Vierteljahrhundert, nachdem er am 8. Juli 1984 mit 62 Jahren in der Charité an Krebs starb, findet man kaum eine Buchhandlung, die nur ein Buch von Franz Fühmann vorrätig hätte. Was Google von ihm weiß, ist ein Bruchteil dessen, was die Suchmaschine über gewisse staatstragende DDR-Schriftsteller hergibt. Der Rostocker Hinstorff-Verlag, dessen treuem Engagement sich die Präsenz seines Werks auch nach 1990 vor allem verdankt (es sind 22 Titel lieferbar), hat nun über den großen Dokumentenband von Barbara Heinze hinaus erstmals eine Biografie vorgelegt.

Gunnar Decker hat mit „Franz Fühmann – Die Kunst des Scheiterns“ ein vergleichsweise populäres Buch geschrieben. Er paraphrasiert ausführlich die gut recherchierten Zitate. So entsteht ein zugängliches Bild des Mannes und der Zeit, wie sie Decker sieht. Dass er dem bunten Völkchen des Prenzlauer Bergs der achtziger Jahre etwas nachwerfen muss, wird private Ursachen haben. Fühmann jedenfalls hatte dort Freunde gefunden und sich immer wieder mit jüngeren Autorinnen und Autoren solidarisiert, denen der Staat auf mancherlei Art übel mitspielte.

Allerdings ist es die Schwierigkeit jeder Biografie, zu fassen, was schon vielfältig vom Autor selbst in Gesprächen, Selbstzeugnissen, in Zeugnissen von Zeitgenossen (Künstlern, Autoren, Leserinnen und Lesern) und eben im autobiografischen Text ausgeführt ist. Allein die Vielfalt des Werks fordert analytischen Zugang auf unzähligen Ebenen. Fühmanns nahezu aberwitziger Versuch als gefräßiger Leser und hochproduktiver Autor ist der eines Universalisten, der an diesem Anspruch in seinem Jahrhundert nur noch scheitern konnte.

Sein „Prometheus“-Roman nutzt die Antike, um die heutigen Verhältnisse zu beleuchten: Mit farbigen Illustrationen von Angela Hampel ist er gerade in einer Neuauflage bei der Büchergilde Gutenberg erschienen. Darin geht es um patriarchalische Strukturen und weibliche Kraft in der ältesten Schicht der Götterwelt kurz nach der Erschaffung der Welt, um die Auflehnung der Schwachen und um ihre Listigkeit dabei, und um die pure Lust am Leben bei den Titanen. Das ist, in einer eingängigen Sprache, lesbar gemacht für Jugendliche wie für Erwachsene.

In einem anderen klassischen Stoff, der Erzählung „Marsyas“, kommt in der brutalen Abrechnung des allmächtigen Apoll mit dem naiven, musikalischen Satyr die Ohnmacht des Künstlers vor der zynischen Macht auf den Punkt. Von einprägsamen Erzählungen aus der Kindheit im böhmischen Riesengebirge wäre noch zu reden, von Märchen nach Shakespeare, von Kinderbüchern sowieso. Sogar „Saiäns Fiktschen“ gibt es von Franz Fühmann, Zukunftsvisionen, die auch nach dem Ende der Systemauseinandersetzung nichts von ihrer schwarzen Würze verloren haben.

Seine größte Begeisterung galt wohl der Romantik, zentrale Essays haben E. T. A. Hoffmann zum Helden. Zuletzt galt all seine Energie einem ganz und gar ausufernden „Sammler“-Projekt, einem Bergwerks-Roman, in dem Gegenwart, Zeitgeschichte, Bewusstes und Unbewusstes, Eros und Thanatos sich aneinander entzündeten. Es blieb Fragment.

Wer da vor 25 Jahren gestorben war, als ich an seinem Grab in Märkisch-Buchholz von der Angst um die Zustände im „Ländchen“ stammelte, welches Gewicht sein Werk nun erst recht für uns bekam und wie groß und drängend sein Nachleben eigentlich ist – es begreift sich nur äußerst langsam, wenn einem ernst darum ist.

Jüngst erzählte Manfred Karge in der Kantine des Berliner Ensembles folgende Geschichte: Im Februar 1988, im Nachtrag zur Affäre um Kurt Waldheim und dessen „vergessene“ SA-Mitgliedschaft, hatte er eine Spielfassung des Trakl-Essays in Wien auf die Bühne gebracht und dort selbst Fühmann gespielt.

Anhand der autobiografischen Teile des Buches hatte er einen Menschen zeigen können, der das Vergessen nicht für eine Tugend hielt. Eine Ausnahme also, einen Mann, der Karge zufolge bis zur Übertreibung, bis zur Selbstzerfleischung am Rande der Lächerlichkeit sagte, dass er die Verbrechen mitverantwortete, die er real nicht begangen hatte. Ganz anders als die meisten zuvor, ganz anders als dieser und jener noch immer, wie wir, schon fast nicht mehr staunend, in der Zeitung lesen.

Was Franz Fühmann als sein Scheitern ansah, werden die meisten von uns nie erreichen.

Gunnar Decker: Franz Fühmann – Die Kunst des Scheiterns, Hinstorff, Edition Konrad Reich, Rostock 09, 455 S., 24,90 €.

– Franz Fühmann: Prometheus. Roman. Büchergilde Gutenberg (248 S., 24,90 €). – Uwe Kolbe, 1957 geboren, lebt als Schriftsteller in Berlin. Bei Suhrkamp erschien von ihm zuletzt der Lyrikband „Heimliche Feste“. 1976 ermöglichte ihm Fühmann die Veröffentlichung seiner ersten Gedichte in „Sinn und Form“.

Uwe Kolbe

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