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Börsenwahn: Gemetzel am Nachmittag

Crash, Boom, Bang: Emile Zolas Roman "Das Geld“ von 1891 erzählt alles, was man über den Börsenwahn wissen muss.

„Krach“, knallte die Libération am letzten Mittwoch in Riesenlettern auf die Titelseite. Da ging es um den schlimmsten Absturz an den Weltbörsen seit dem 11. September 2001. Die Geheimnisse des Monsieur Kerviel, der die Société Générale im Alleingang um fünf Milliarden Euro erleichtert hat, lauerten noch in der Kulisse. Heute ist Kerviel das Thema, morgen wird ein anderer Hochofen entdeckt, den irgendwelche Wahnsinnigen mit Bargeld füttern, krepiert ein anderer Markt – so wie anno 1637, als im holländischen Alkmaar die Händler in der irrigen Erwartung eines Tulpenbooms ihr Vermögen einbüßten. Es war eine der frühesten Crash-Erfahrungen der Wirtschaftsgeschichte.

Die Franzosen benutzen dafür das deutsche Wort Krach, was – auch da kann man schön spekulieren – womöglich dem Umstand geschuldet ist, dass in Goethes „Faust II“, vollendet 1831, zum ersten Mal in der dramatischen Literatur von windigen Transaktionen mit Papiergeld die Rede ist. Mephisto, der Teufel, hat die Hand im Spiel, und die Blase platzt.

Dabei ist das Buch der Bücher in diesem Zusammenhang ein französisches. Es erschien 1891, der Autor heißt Emile Zola und sein Titel schlicht und erschütternd „Das Geld“ (L’Argent). Ein Roman von bald 600 Seiten (Insel Taschenbuch, aus dem Französischen von Leopold Rosenzweig). Die Nachfrage des Buchhändlers dieser Tage, ob es sich um ein Sachbuch oder einen Ratgeber handele, zeugt von hoher Ahnungslosigkeit, trifft aber den Kern. „Das Geld“ erzählt, was man von dieser heißesten und verderblichsten aller handelbaren Waren wissen muss: „Alles Gute entsteht aus ihm, obwohl alles Übel von ihm kommt.“

Zola hatte in seiner Zeit, der Dritten Republik, reichlich Anschauungsmaterial. Er schöpfte aus dem Skandal um die Finanzierung des Panamakanals, der in Frankreich hohe Wellen schlug, und dem Zusammenbruch der Banque Union Générale. Zolas Spekulationsobjekt nennt sich Banque Universelle – ein global ausgerichtetes Unternehmen. Ihr Gründer, ein Börsenmensch namens Aristide Saccard, der schon einmal hart auf die Nase gefallen ist, plant nun die todsichere Nummer. Mithilfe der Universalbank will Saccard ganz Arabien erobern, mit Bahnstrecken überziehen, Jerusalem freikaufen und zum Sitz des Papstes machen. Dem gefällt es in Rom nicht mehr. Wie beim Bush-Cheney-Halliburton-Clan vermischen sich hier Politik, Sendungsbewusstsein und Geschäft.

Zola entwickelt das Modell des modernen kommerziellen Kreuzzugs. Den gesamten Schiffsverkehr auf dem Mittelmeer soll das neue Unternehmen kontrollieren. „Man würde ... neue Hafenplätze schaffen, den Orient zu einer Vorstadt von Marseille machen. Welche Bedeutung müsste die Gesellschaft erst erlangen, wenn sie nach Vollendung des Suezkanals regelmäßige Dienste nach Indien, Tongking, China, Japan ins Leben rufen könnte!“ Auf dem Berg Karmel (im heutigen Nordisrael), so redet sich Zolas Protagonist Saccard in einen Rausch, habe man reichhaltige Silbervorkommen entdeckt. Und wieder die Verbrämung des Mammon, die der Geldvernichtung unweigerlich vorausgeht: „Mehr noch als die moderne Technik musste die um die heiligen Orte gewobene uralte Poesie bewirken, dass dieses Silber des Karmel als wahrer Wunderregen herabrieselte.“

Wenn ein einzelner Finanzmakler wie jener Jérôme Kerviel von der Société Générale imstande ist, ungehindert Milliarden zu verpulvern, dann hat das auch etwas mit Poesie zu tun – im Sinne der Surrealisten. Deren Arbeitsweise gehorchte den Eingebungen der Träume, man wollte den Verstand ausschalten, das Unbewusste in einem ungesteuerten Schaffensprozess sich entfalten lassen: écriture automatique.

André Breton gab im „Ersten Surrealistischen Manifest“ von 1924 folgende Anweisungen, für Broker ohne Weiteres nachzuvollziehen: „Verlassen Sie sich auf die Unerschöpflichkeit des Raunens. Wenn ein Verstummen sich einzustellen droht, weil Sie auch nur den kleinsten Fehler gemacht haben: einen Fehler, könnte man sagen, der darin besteht, dass Sie es an Unaufmerksamkeit haben fehlen lassen – brechen Sie ohne Zögern bei einer zu einleuchtenden Zeile ab. Setzen Sie hinter das Wort, das Ihnen suspekt erscheint, irgendeinen Buchstaben, den Buchstaben l zum Beispiel, immer den Buchstaben l, und stellen Sie die Willkür dadurch wieder her, dass Sie diesen Buchstaben zum Anfangsbuchstaben des folgenden Wortes bestimmen.“

Besser kann man die Logik der Börse nicht beschreiben. Sie hat keine Logik. Für den Betrachter des Geschehens – soweit man es verfolgen, geschweige denn verstehen kann – stellt es sich derzeit so dar. Als vollkommen irrationales Handeln, das, je größer die Summen sind, die Kontrollmechanismen durch die schiere Geldmenge außer Kraft setzt. Kurven sind nur noch dazu da, dass man aus ihnen herausfliegt. Als ob die virtuellen Geldströme im Weltall verpuffen und eine gefährliche negative Masse bilden. Geschieht das zwischen zwei Menschen, nennt man das eine amour fou. An der Börse ist es ein Schwarzer Freitag, Montag, Mittwoch oder Donnerstag.

Zurück zu Zola. Saccards Geschäfte mit der Banque Universelle gehen ab wie die Post, als die Post noch das Maß aller Geschwindigkeiten war. Die Aktie des Unternehmens schießt in den Himmel. Groß- wie Kleinanleger verlieren auf der Stelle den Verstand. Zola vergisst nicht zu erwähnen, dass Geld – wie in Oliver Stones „Wall Street“-Film mit Michael Douglas – für Saccard wichtiger und geiler ist als Sex. Frauen interessieren den Pariser Spekulanten nur als Vorzeigeobjekt; je teurer und verwöhnter, desto besser. Oder wie Bushido in der „Süddeutschen Zeitung“ prahlt: „Wenn man seine Seele verkauft, muss wenigstens der Preis stimmen.“ Auch diese Rapper- Weisheit lässt Zola locker hinter sich. Sein Held Saccard kauft sich eine Zeitungsredaktion, um die Öffentlichkeit auf seine irren Volten einzustimmen. Und immer spürt man schon das Unheil heraufziehen, so haltlos, so suizidal gestimmt präsentiert sich Zolas Paris um das Jahr 1865. Der Pulverdampf von Barrikadenkämpfen liegt in der Luft der großen Boulevards. Krieg kündigt sich an.

1928, ein Jahr vor dem Black Friday in New York und der Weltwirtschaftskrise, kam ein Film heraus, der auf dem „Geld“-Roman von Zola basiert und zu den späten Höhepunkten der Stummfilmkunst zählt. Brigitte Helm (der Maschinenmensch aus Fritz Langs „Metropolis“) spielt darin eine verruchte Adelsperson, Antonin Artaud, der später mit seinen Pamphleten zum Theoretiker der zeitgenössischen Kunst und Bühne avancierte, mimt im expressiven Stil der Zeit einen Börsenmakler, der im Strudel der untergehenden Banque Universelle versinkt. So kann man sich den Hasardeur der Société Générale heute vorstellen. Als kleines Rädchen, das die gesamte Maschinerie in Turbulenzen stürzt. Und Artauds Vision, längst ein Klassiker, passt zu dem Finanzspektakel: „Das Theater der Grausamkeit“.

Es ist der brillanteste Teil des „Geldes“ von Zola – der Absturz. Der Börsenkrach. Die Beschreibung eines Blitzkriegs, eines Gemetzels, eines einzigen Nachmittags, an dem Menschen und Millionen „wie ganze Reihen von Soldaten von Granaten weggemäht werden“. Und weiter: „Stunde für Stunde ein Morden, überall ein lauernder Hinterhalt.“

Ticken die Börsen im frühen 21. Jahrhundert anders? Zola gibt wunderbaren Anschauungsunterricht, einen Finanzwelt-Crashkurs auf Französisch. Ein Partner des rücksichtslosen Saccard tobt, die Banque Universelle erliege „der Spielwut, einem Anfall völligen Wahnsinns“. Der Rest ist Schweigen über dem Schlachtfeld der Pariser Börse, totaler Ruin.

Monsieur Saccard ist bereits außer Landes, wie man en passant erfährt. Er hat sich in Holland in ein neues Abenteuer gestürzt – Sümpfe trockenlegen und Land gewinnen. Diese Geschäftsidee hatte auch schon wieder Goethes Faust. In der Tragödie zweiter Teil wird nicht nur wertloses Papiergeld gedruckt, sondern auch Bodenspekulation betrieben, was den Mord an zwei Alten einschließt, die dem faustischen Entwicklungsprogramm nicht weichen wollen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ist es das wirklich? Emile Zola schließt seinen zeitlosen Roman mit den Worten: „Warum soll also das Geld an allem Schmutz und allen Freveln, die es veranlasst, allein die Schuld tragen? Ist die Liebe etwa minder befleckt, sie, die das Leben hervorbringt?“ Keine besonders beruhigenden Aussichten.

Rüdiger Schaper

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