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Jonke

© dpa

Gert Jonke: Melodiegewebeschwaden

Silbenfantast und Sprachvirtuose: zum Tod des österreichischen Schriftstellers und Dramatikers Gert Jonke.

Von Gregor Dotzauer

Wenn man in zwei, drei Worte fassen wollte, worum es in Gert Jonkes Büchern ging, würde man nichts Genaueres finden als die eigenen Prägungen dieses Sprachungetümschöpfers. Sooft man glaubte, dem Stofflichen seiner Fiktionen ein Stück näher gekommen zu sein, trieben sie wieder in „Schreibwarenkumuluswolkenballungsblasen“ davon. Es blieb ein Duft von „Melodiegewebeschwaden“, die in eine romantische Gegenwelt entschwebten. Die „Geschichtsstiegenhausreinigungsbedeutung“ seiner Prosa- und Theatertexte war ihm egal.

Gert Jonke, 1946 in Klagenfurt als Sohn einer Pianistin und eines Instrumentenbauers geboren, war ein querköpfiger Rabulist, in dem die Sehnsucht wohnte, seine Sprachagglomerationen in absolute Musik zu verwandeln. In seinen besten Büchern, vor allem dem Roman „Der ferne Klang“ (1979), das den Mittelteil einer Trilogie bildet, zu der außerdem die Bände „Schule der Geläufigkeit“ (1977) und „Erwachen zum großen Schlafkrieg“ (1982) gehören, erreichte er dieses Ideal passagenweise, um dann wieder durch die Niederungen eines noch nicht reine Dichtung gewordenen Erzählens zu stolpern, das sich seiner Illusionshaftigkeit schämt und diese zwanghaft zu zerstören trachtet.

Am überzeugendsten war Jonke, wo er das Gemachte seiner Sprachmusik nicht leugnete, ja wo er es als formelhaft konstruiert offenlegte. Der Komponist, von dem er sich den Titel „Schule der Geläufigkeit“ borgte, heißt nicht zufällig Carl Czerny. Die Etüden, die Czerny seit bald 200 Jahren jedem Klavierschüler in die Finger diktiert, bewegen sich auf einer Grenze zwischen Kunst und Handwerk, gegen die Jonke mit allen Mitteln der Silbenfantasterei rebellierte. Er tat dies mit dem graziösen Charme von Robert Walser und der grantelnden Sprachverbiegungswut von H.C. Artmann – in beider Literatur erkannte er die Pole seines Werks, das zum größten Teil im Salzburger Jung und Jung Verlag vorliegt.

„Vor Jonkes Sätzen“, schrieb Elfriede Jelinek, „gibt es kein Ausweichen, weil sie selber das Ausweichen vor einem Sinn sind, den sie allerdings manisch umkreisen, nur um ihn umzukehren, nur um ihn wieder aufs neue zu vermeiden, nur um ihn, den Umzingelten, umso klarer zum Vorschein zu bringen, der immer eigentlich ein Anschein ist, manchmal auch nur ein sehr heller Schein. Sie haben nichts zu melden, diese Sätze, aber sie haben dennoch gut zu tun.“

Der verschrobene Manierismus, dem er huldigte, kannte mal zuckerwattenhaft aufgeblasen, mal kakophonisch hingepoltert, viele Tonlagen – und zuweilen eben eine überirdische Schönheit. In den Gesten, die er dabei übte, steckte aber auch das zutiefst Irdische dieses nur scheinbar einer leeren Virtuosität ergebenen Mannes. Jonke hatte eine ausgeprägte Leidenschaft für alle Verzweifelten, Verrückten und Selbstmörder. Schreiben betrachtete er als den besten Weg, seine eigene gequälte Seele zu besänftigen.

Eine Rebellion stand bereits am Anfang seiner schriftstellerischen Laufbahn, die ihm zuletzt den Kleist-Preis, den Arthur-Schnitzler-Preis und noch im vergangenen November den Nestroy-Theaterpreis einbrachte. Mit seinem Debüt „Geometrischer Heimatroman“ (1969) rüttelte er im Gefolge der österreichischen Avantgarde in den sechziger Jahren nicht nur an den Grundfesten einer konventionellen Beschreibungsliteratur. Er legte gleich alles in Trümmer, was einen realistischen Dorfroman ausmachen könnte, wie ihn wenig später Franz Innerhofer noch einmal mit brutaler Präzision belebte. Die „bewohnbare Musik“, die Gert Jonke später zu erschaffen versuchte, hat ihm allerdings auch keine Heimat bieten können. In der Nacht zum Montag ist er in Wien 62-jährig einer Krebserkrankung erlegen.

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