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Grass

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Günter Grass: Die Welt als Willy und Vorstellung

Wie in alten Tagen: Günter Grass macht sich auf zur Lesereise für die SPD. Leider hat die Zeit seine politische Rhetorik überholt.

Es gibt diese Klage über heutige Schriftsteller. Sie seien unpolitisch und würden nichts mehr sagen, keinen Piep. Dann gibt es noch Günter Grass, und der erzählt seine Geschichten immer gern. Wie er sich der SPD zuwandte, damals, als Konrad Adenauer Willy Brandt beschimpfte als uneheliches Kind und Emigranten. Da sei Grass wütend geworden, und so kam alles, wie es kam. Im Jahr 1961 redigierte er Brandts Reden; vier Jahre später ertönten seine eigenen unter dem Slogan "Es steht zur Wahl" in mehr als 50 Städten.

Als die CDU wieder gewann, fuhr Grass einen Wahlkampf später im VW-Bus quer durch Deutschland, 31.000 Kilometer, hielt mehr als 90 Vorträge über die "Es-Pe-De". So steht es in seinem Tagebuch einer Schnecke. Diese Dinge erzählt Grass wirklich immer wieder gern, auch wenn jetzt, 40 Jahre später in Kreuzberg, ein bisschen die Zeit fehlt.

Es ist Wahlkampf, und Günter Grass beginnt seine politische Lesereise. Ein neuer VW-Bus parkt draußen vor der Tür der Berlinischen Galerie, "Unterwegs von Deutschland nach Deutschland" heißt es mit roter Beschriftungsfolie am silbrigen Blech. In sechs ostdeutschen Städten wird Grass lesen, in bevölkerungsarmen Gegenden, beziehungsweise vor einem ausgewählten Publikum. Drinnen sagt Wolfgang Thierse zu ihm: "Wir sind Dir sehr dankbar." Vorauseilend hält Thierse noch einen Ausriss der Frankfurter Rundschau hoch und sagt, wer alles noch eine starke SPD wünscht: Benjamin Lebert und Sten Nadolny zum Beispiel. Es sei ein Vorurteil, dass Schriftsteller nicht mehr auf Seiten der Sozialdemokraten stünden, sagt er.

Grass stand dort fast immer. Nur zweimal fehlte er entschuldigt: Als Johannes Rau kandidierte, weilte Grass in zweiter Ehe in Indien. Und 1993 trat er wegen der sozialdemokratischen Asylpolitik aus der Partei aus, sodass manche glaubten, die Personalunion von Schriftsteller und engagiertem Geist sei dahin.

Wenn Grass heute Schnurren zu August Bebel und der Weimarer Republik zum Besten gibt, wird deutlich, wie wenig seine anstehende Lesereise der SPD heute helfen könnte. Vielleicht auch, dass sich die Grass’sche Vorstellung vom sich einmischenden Autor hin zum Moraltröter und Maskottchen einer Partei gewandelt hat, von deren gegenwärtigen Problemen er manches gar nicht verstehen will.

In Zeiten, da die noch junge Bundesrepublik den öffentlichen Meinungsstreit erprobte, war die moralische Autorität eines Autors gefragt. Als ein Ludwig Erhardt eine aufbegehrende Schriftstellerschar als Banausen betitelte, war Grass, zusammen mit einigen anderen, ein hellsichtiger Rufer in einer sich mühsam demokratisierenden Wüste. Entsprungen dem Glauben, ein Schriftsteller durchschaue die Gesellschaft besser als andere, könne kommende Probleme schneller erkennen und Einfluss nehmen.

Heute ist das mediale Rauschen lauter, erzeugt wird es durch eine veränderte Öffentlichkeit. Niemand übt mehr den Meinungsstreit: Wir sind unter Dauerfeuer. Leitartikel, Fernsehreportagen, Internetblogs. Meinungen und Ansichten geistern tausendfach durch die Wüste, in der einst der Rufer einsam stand. Und übertönen ihn. Jedes Thema – von Rüstung über Gesundheitsreform bis Bildungsmisere und Finanzpolitik – findet sich im Rauschen wieder.

Dem engagierten Schriftsteller bleibt eine Chance, um fürderhin gehört zu werden: ein Programm wider das Rauschen. Hat er es nicht, geht er im Gleichklang unter. Oder er muss so aufrichtig sein wie Peter Handke, der 1967 bemerkte: "Ein engagierter Autor kann ich nicht sein, weil ich keine politische Alternative weiß zu dem, was ist."

Grass’ Engagement nun ist freilich ehrenwert. Was sich die SPD davon versprechen mag, erscheint hingegen zweifelhaft. Denn die Empörungs- und Glorifizierungsdramaturgie des Nobelpreisträgers ist kaum unterscheidbar von der, die Parteivordere und ihre Ersatzspieler in spätabendlichen Polit-Talks aufführen. Und auch in der Berlinischen Galerie knallen die Gemeinplatzpatronen – im erwartbaren Applaus.

Zum Grundgesetz: "Sind alle Menschen denn wirklich gleich?" Zu Sigmar Gabriel: "Ein Kämpfer von altem Schrot und Korn." Zu Ulla Schmidt: "Ich bin ein Ulla Schmidt-Fan." Zu Oskar Lafontaine: "Ein Demagoge." Zu Guido Westerwelle: auch einer. Zu Steinmeier und Steinbrück: Sie erinnern an Willy Brandt und Karl Schiller. Den SPD-Wahlkampf als solchen findet er zu lasch: "Euch fehlt ein Herbert Wehner."

Jetzt haben sie ja Grass, und der ist wieder zornig. Dieses Mal, weil die FDP nicht abgestraft wird als Apostel des Neoliberalismus, der uns den Schlamassel eingebrockt hat. Übrigens seien die Feinde der Demokratie nicht die islamischen Terroristen. Vielmehr sei sie bedroht durch Lobbyisierung des Parlaments. Soviel zur politischen Zeitdiagnose. Es folgen Brandt und die schlimme Ahnung, was Schwarz-Gelb anrichten könnte, und wie sich die Union mit sozialdemokratischen Errungenschaften schmücke. Wahlkampf als Willy und Vorstellung.

Stellt man sich nun vor, wie Grass in der Uckermark über Bebel, Brandt, Wehner, Schiller und vielleicht auch noch Wilhelm Liebknecht doziert – wie sollen sich junge unentschiedene Wähler für die Partei begeistern? Durch Namen, die sie nur von Straßenschildern kennen? Denn zu Gegenwärtigem weiß Grass wenig Neues zu sagen. Auf die Publikumsfrage, warum er denn den Heidelberger Appell unterschrieben habe und was er davon halte, sagt er: "Ich bin ein Computeridiot." Er schreibe erst von Hand, dann mit seiner alten Olivetti. Seine Sekretärin tippe es hernach ab. Immerhin habe er keine Rückenprobleme, schließlich, das könne er nur empfehlen, arbeite er am Stehpult.

Das soll er auch bitte weiter tun, noch viele Romane lang. Ganz ohne Gesinnungszwang. Jetzt geht’s aber erstmal nach Neuenhagen.  

Quelle: ZEIT ONLINE

David Hugendick

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