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Horst Hussel: Das wetterwendische Gemüt

Horst Hussels absurde Geschichten und Dramolette: Ob stille Fröhlichkeit oder in Melancholie gebadeten Trotz - all dieses verdankt der Leser Franz.

Von Gregor Dotzauer

Was immer es ist, das seinen Geschichten und Dramoletten ihr Glitzern und Funkeln verleiht, es ist ansteckend. Und ob einen Horst Hussels stille Fröhlichkeit packt, wenn man sich sofort fingerhuthoch erhoben fühlt über die Leere des Alltags, oder ob es sich um einen in Melancholie gebadeten Trotz handelt, mit dem man einer unaufhaltsamen Vergeblichkeit ins Auge sieht – es hat zumindest einen einfachen Namen: Franz. Dieser schwärmerische Luftikus hat ein wetterwendisches Gemüt, den Kopf „voller Sprüche und Gegensprüche“, darüber hinaus jede Menge Frauen im Sinn, und weil das alles zugleich und in alle Richtungen an ihm zieht und zerrt, befleißigt er sich oft lieber gleich einer oblomowschen Trägheit.

Hussels zwei Dutzend Franz-Geschichten, durch die ein launisches „Aprillenwetter“ tobt, sind entzückend ausgedachte Miniaturen, die ihrem eigenen Schwung gar nicht schnell genug hinterherkommen können und sich dann selbst durchkreuzen und gedankenflüchtig weiterspinnen. Ein Stichwort gibt das nächste, und schon ist man mit einem Augenzwinkern um die Welt gereist.

So, wie Gabriele Killert in ihrem schönen Nachwort den 1934 in Greifswald geborenen und als zeichnendes, schreibendes und musikalisch denkendes Universalgenie seit einer halben Ewigkeit in Berlin-Pankow beheimateten Horst Hussel porträtiert, ist er Franz verwandt – auch in seiner aus der Zeit und in die Ewigkeit eines romantisierenden Deutsch gefallenen Art. Hussel ist ein hinreißend altmodischer Modernist mit Hausheiligen wie Robert Walser und Daniil Charms, Paul Scheerbart und Kurt Schwitters.

Im Hotel kommt ein Blitztelegramm an, vor die Tür tritt man mit einem Paletot, auf der Straße fahren Automobile, und die schönen Frauen heißen Frollein. Womit Hussel aber keine untergangene Welt erstehen lassen will, sondern allenfalls mit Wörtern und Signalen die gegenwärtige in die Knie zwingen will. Denn nicht früher waren die Dinge besser. „Vorhin wars besser“, sagt A in einem Dramolett. Und B: „Besser was.“ – „Tät ich es wissen.“ – Wenn du sagst, es ist besser geworden, müsstest du wissen, was besser war, vorhin.“ – „Es ist besser als jetzt.“ – „Jetzt ist wie vorhin.“ Da capo senza fine.

Horst Hussel: Aprillenwetter. Frühlingsgeschichten und Dramolette. Mit einem Nachwort von Gabriele Killert. Friedenauer Presse, Berlin 2009. 120 Seiten, 18 €.

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