zum Hauptinhalt
Schwarz

© Imago

Nachruf: Jelena Schwarz: Licht und Ton

Hoffnungslosigkeit gab es für sie nicht: Ein Nachruf auf die große russische Dichterin Jelena Schwarz.

Jelena Schwarz, die am Donnerstag im Alter von 61 Jahren gestorben ist, war eine große russische Dichterin. Und sie war meine Freundin, ein Vierteljahrhundert lang. Man verzeihe mir, wenn das Folgende zu persönlich ist. 1986 gab man Dina Schwarz, der Mutter von Jelena und legendären Dramaturgin des Towstonogow-Theaters BDT, zwei meiner Theaterstücke. Ich machte mir keine Hoffnungen: die Stücke – mit jüdischem Stoff und absolut „nicht-realistisch“ – hatten unter den sowjetischen Zensurbeschränkungen keine Chance. Aber ich malte mir mit etwas jugendlichem Übermut aus, wie sie mir sagen würde: „Junger Mann, Sie verstehen wohl selbst, aber... “. Es kam anders. Dina Schwarz war keine gewöhnliche Sowjetdramaturgin, sie hatte kein ewiges „Sie verstehen wohl selbst“ auf den Lippen, sie war eben Dina Schwarz.

Ein paar Wochen später klingelte bei uns zu Hause das Telefon, Jelena Schwarz war dran. Ihre Mutter hätte ihr meine Stücke gegeben mit den Worten „Schau dir das mal an, das muss dir gefallen.“ Sie hatten Jelena gefallen, sogar die Gedichte in den Stücken, und sie wollte mehr hören. Was interessierte mich da noch das Schicksal meiner Stücke? Ich kam zu ihr, las Jelena Schwarz meine Gedichte vor, lauschte den ihrigen. Dann kamen wir mit meiner Frau Olga Martynova zusammen. Seither sind wir befreundet. Waren wir. Sind wir.

Jelena Schwarz hat mich reich beschenkt, privat und beruflich. Diese Geschenke gehören zu den wichtigsten in meinem Leben. Zunächst sind da natürlich ihre Gedichte. Diese liebte ich seit Jahren schon – ich kannte sie aus Samisdatbüchern (das sind gebundene Typoskripte) und halb legalen Lesungen. Wir waren sogar an jenem Abend dabei, an dem sie erstmals ihren Versroman „Lavinia“ gelesen hatte, in den Räumen des „Club 81“, einer Vereinigung, die unter der Ägide des KGB für inoffizielle Autoren Leningrads gegründet worden war.

Eine kleine Frau im Zigeunerrock trat auf. In ihren Händen trug sie ihr Poem, wie ein gekochtes Huhn in Alufolie gewickelt. Wenn sie nicht angerufen hätte, hätte ich wahrscheinlich nie im Leben ihre Bekanntschaft gemacht. Aber auch ohne diese Bekannschaft war mir die Größe dieser kleinen Frau sehr bewusst.

Diese Größe betraf nicht nur Jelena Schwarz – diese Größe berührte uns alle, die wir in diesen spätsowjetischen Jahren versucht hatten, eine wahre Literatur zu schreiben. Diese Größe war ihr Geschenk an uns alle, auch an mich. Die überwiegende Empfindung meiner Jugendjahre war das Gefühl, unsere Zeit sei minderwertig, von geringer Qualität.

Ich weiß, dasselbe Gefühl hatten die meisten, die damals lebten und zu Empfindungen in der Lage waren. Alles war eigentlich gar nicht schlecht: Die Obusse schossen mit frostigen Funken aus ihren Hörnern, der Fluss lag schief und glänzend unter dem Himmel, die Paläste standen ganz nett, ganz wenig mitgenommen. Bücher wurden veröffentlicht, Gedichte geschrieben und gelesen, sogar ganz gute. Aber all das war ohne Ton, wie ein verlangsamter, verdunkelter, stummer Film. Es schien, dass in diesem Licht, Ton und Bewegung aufsaugenden Leben es nicht möglich war, etwas zu sagen, das klingt. Das Größe hat.

Und da kommt eine kleine Frau im Zigeunerrock und mit einem Poem, das wie ein gekochtes Huhn in Alufolie gewickelt ist – und sie ist eine genauso große Dichterin wie Alexander Block oder Ossip Mandelstamm, Anna Achmatowa oder Marina Zwetajewa. Das änderte alles.

Sie hat mir – und nicht nur mir – den Glauben an die Vollwertigkeit meiner Zeit geschenkt, die Möglichkeit, in meiner Zeit ohne bequeme Hoffnungslosigkeit zu leben. Jetzt ist sie fort.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false