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Liebesgeschichte: Von Mauern und Menschen

Berlin, November 1989: Holly-Jane Rahlens erzählt eine Liebesgeschichte zwischen West und Ost. Sie begann in einer S-Bahn nach Ost-Berlin.

Manchmal findet man die Liebe, wo man sie am wenigsten erwartet: in der S-Bahn nach Ost-Berlin. Ein grauer Novembertag 1989. Die Mauer ist seit zwei Wochen offen und Molly Beth Lenzfeld macht sich mit der S-Bahn auf den Weg nach Prenzlauer Berg, in die Greifenhagener Straße. Die 16-jährige Amerikanerin, die mit ihrem Vater seit ein paar Monaten in Charlottenburg lebt, hat dort eine Mission zu erfüllen. Bevor sie in zwei Tagen vorzeitig nach New York zurückkehrt, will sie das Geburtshaus ihrer verstorbenen Mutter sehen, deren jüdische Familie 1938 vor den Nazis nach Amerika geflohen war.

Molly, die unter dem frühen Krebstod der Mutter leidet, konnte in Berlin nicht Fuß fassen. Sie kapselt sich ab, fühlt sich als Mauerblümchen. „Die Mauer ist offen. Und ich bin zu.“ So denkt Molly zu Beginn des Buches. „Ich war schon immer zu, habe mich hinter einer Wand versteckt, mich dort eingenistet und werde da auch nicht mehr rauskommen.“ Doch am Ende ist Mollys Blick auf die Welt ein ganz anderer.

Die Amerikanerin Holly Jane Rahlens, die seit mehr als 30 Jahren in Berlin lebt, erzählt eine zarte Liebesgeschichte, die sich in nur vier Stunden abspielt, vier Stunden in der S- und U-Bahn zwischen Charlottenburg und der Schönhauser Allee. Am Bahnhof Savignyplatz steigt Mick in die S-Bahn, ein 19-jähriger ostdeutscher Schauspielstudent auf dem Weg nach Birkenwerder.

Auch Mick fühlt sich als Außenseiter. Anders als seine Freunde ist Mick nicht über Ungarn in den Westen gegangen. „Vielleicht bin ich ja geblieben, weil ich einfach kein Held bin. Oder weil ich leicht zufriedenzustellen bin“, sagt er. „Vielleicht bin ich aber auch geblieben, weil ich eben doch ein Held bin.“ Und nun kann er es kaum fassen, eine echte Amerikanerin vor sich zu sehen.

Mit großer Wärme und viel Liebe zu ihren Personen ist Holly-Jane Rahlens eine lebensfrohe Geschichte vor der Kulisse des Mauerfalls gelungen. Die Autorin hat gründlich recherchiert. Jedes Detail stimmt, von der Farbe der Kunstledersitze in der Ost-S-Bahn über die in Schmierseifengrün gekachelte Halle am Alexanderplatz bis hin zum Toilettenpapier, das sich fast anfühlt wie Sandpapier („Ich könnte mir damit bestimmt besser meine Fingernägel feilen, als den Hintern abwischen.“).

Der Leser spürt die Verunsicherung der DDR-Grenzbeamten und die beklemmende Atmosphäre im Mitropa Restaurant. In der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der dies alles erzählt wird, liegt die große Stärke dieses Romans.

In Micks Gegenwart erkennt sich Molly selbst nicht mehr wieder. Mit Mick kann sie sogar über ihre Mutter reden und endlich Gefühle zulassen. Sie hatte in ihrem Innern auch eine Mauer aufgebaut, doch jetzt fließen die erlösenden Tränen. „Ich denke, es fühlt sich okay an. Nein. Besser als okay. Es fühlt sich gut an. Es tut gut, so zu weinen.“

Ein humorvoller, ein aufregender Roman, an dem auch Erwachsene Spaß finden werden. Mauerblümchen ist übrigens Holly-Jane Rahlens‘ sechster Roman. Ihr Jugendbuch „Prinz William, Maximilian Minsky und ich“, für das sie 2003 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt, kam vor zwei Jahren in die Kinos. Man wünscht sich, dass auch „Mauerblümchen“ hoffentlich bald verfilmt wird.

Holly-Jane Rahlens: Mauerblümchen. rororo rotfuchs, Reinbek 2009. 160 Seiten. 12,95 Euro. Ab 13 Jahren.

Margit Lesemann

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