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lit.Cologne: Chinesische Muskelspiele

Demütigung und Macht: Der Schriftsteller Liao Yiwu darf nicht zur lit.Cologne nach Deutschland reisen.

„Lassen Sie es nicht zu, dass die Literatur erneut von der Macht gedemütigt wird“. Mit diesem Satz hatte der Schriftsteller Liao Yiwu Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang Februar gebeten, sich für seine Teilnahme am Literaturfestival „lit.Cologne“ einzusetzten. Tatsächlich hatte sich die deutsche Bundesregierung um eine Einreiseerlaubnis für Liao bemüht, „leider ohne Erfolg“, wie Außenminister Guido Westerwelle am Montag in Berlin erklärte.

Chinas kritische Literaten müssen derzeit tatsächlich einiges an Demütigung ertragen. Schon zur Frankfurter Buchmesse durfte Liao Yiwu nicht reisen, nun wird ihm auch die Teilnahme an dem Literaturfestival in Köln versagt bleiben. Am Montag holten chinesische Polizisten den Autor in der südwestchinesischen Stadt Chengdu kurz vor dem Start wieder aus dem Flugzeug und stellten ihn unter Hausarrest. „Ich saß im Flugzeug, als die Stewardess mich aufforderte, mein Gepäck zu nehmen und zum Eingang zu kommen. Ich wurde zur Polizeiwache gebracht und mehr als drei Stunden festgehalten“, erklärte Liao Yiwu in einem Telefoninterview. Die Polizisten hätten ihn über das Literaturfestival in Köln verhört. Ihn nicht fliegen zu lassen, sei von oben angeordnet worden.

In den letzten Monaten sind die chinesischen Behörden verstärkt gegen Regimegegner vorgegangen, selbst wenn deren Kritik nur aus Worten besteht. Zuletzt hatte das harte Urteil gegen Liu Xiaobo mit aller Deutlichkeit gezeigt, wie sehr Chinas Führung kritische Stimmen der eigenen Bürger fürchtet. Elf Jahre Haft für das geschriebene Wort. Ein hartes Urteil im Dezember 2009 gegen den ehemaligen Präsidenten des chinesischen Pen-Clubs. Wie Liu Xiaobo hat sich auch der Schriftsteller Liao Yiwu in seinen Arbeiten mit der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 beschäftigt. Liao musste damals wegen seines Gedichts „Massaker“ für vier Jahre in Haft. Seitdem ist auch er der chinesischen Regierung ein Dorn im Auge.

Wie schon in Frankfurt wollte Liao Yiwu auch in Köln sein Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten“ vorstellen, das im Frankfurter S. Fischer Verlag auf Deutsch erschienen ist. Er hatte dafür Toilettenputzer, Prostituierte, alte Mönche, politische Häftlinge oder Straßenkünstler interviewt.

Die chinesischen Behörden hatten das Buch verboten. Zu sehr widerspricht es der Erfolgsstory Chinas, dem Bild vom aufstrebenden Staat, von dessen Aufschwung angeblich alle Chinesen profitieren. Zu sehr zeigen die Schicksale der Interviewten Brüche in Chinas gesellschaftlicher und politischer Entwicklung auf.

Der Fall Liao Yiwu macht erneut deutlich, wie wenig sich durch die Frankfurter Buchmesse geändert hat. Nach wie vor werden kritische Schriftsteller in ihrer Reisefreiheit eingeschränkt. Noch immer wird zensiert. „Es gibt keinen Zensurprozess im eigentlichen Sinne. Die Verlage entscheiden darüber, was veröffentlicht wird“, hatte Zhang Fuhai von der staatlichen Verwaltung für Presse und Publikationen (GAPP) während der Frankfurter Buchmesse erklärt. Doch Chinas Behörden haben in Wahrheit ein effektives Zensursystem entwickelt. Auf Grundlage uneindeutiger Regelungen verbieten sie Bücher oft erst nachdem sie erschienen sind. Verlage tragen so das finanzielle Risiko, wenn die Werke nicht durch die Zensur kommen und zögern beim nächsten Mal, ob sie kritische Themen ins Programm nehmen sollen.

Das erneute Reiseverbot für Liao Yiwu macht außerdem deutlich, wie wenig sich China um die Außenwirkung von Strafaktionen gegen kritische Stimmen im eigenen Land kümmert. Dennoch kündigte Außenminister Westerwelle gestern an, dass sich die Bundesregierung „im offenen Dialog mit China weiter für Meinungsfreiheit und Bürgerrechte einsetzen“ werde. Doch der Kurs, den Chinas Behörden im Umgang mit kritisch denkenden und schreibenden Chinesen eingeschlagen hat, lässt darauf schließen, dass für diesen Dialog im Moment kein Partner zur Verfügung steht. Auch wenn Liao Yiwu nicht nach Köln reisen kann, zumindest sein Buch wird auf der „lit.Cologne“ vorgestellt. Laut den Organisatoren des Literaturfestivals soll die für den 19. März geplante Veranstaltung auch in Abwesenheit des Autors stattfinden.

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