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Mittelmeerkrimi: Fünf Kugeln, und Italien ist sauber

Fabio Montale ist nicht mehr. Doch der Mittelmeerkrimi lebt – mit neuen Romanen von Bruno Morchio und Veit Heinichen.

Das Mittelmeer, gab der französische Kriminalschriftsteller Jean-Claude Izzo einmal zu bedenken, hat mehr als ein Ufer. Algier oder Beirut gehören ebenso zu diesem vielgestaltigen Kulturraum wie die Costa Brava oder die Côte d’Azur. Dass sich die europäische Küste unter dem Schlagwort Euroméditerranée von den Ufern in Kleinasien und Afrika abkoppeln könnte, befürchtete schon Izzos Protagonist, der melancholische Ex-Vorstadtbulle Fabio Montale aus Marseille. Die Kultfigur Montale gibt es nicht mehr. Kurz vor seinem eigenen Tod im Jahr 2000 hat Izzo ihn aufs Meer treiben lassen, gestorben an einer Mafia-Kugel, aber auch an der Entwicklung, die das einst offene, dem Orient zugewandte Marseille nahm. Doch, und nun die gute Nachricht, von Montale lebt ein Nachkomme.

Der Mann heißt Bacci Pagano und stammt wie sein Schöpfer Bruno Morchio aus Genua. Pagano ist Privatdetektiv, Musik- und Literaturliebhaber, Pfeifenraucher und Dickschädel. Fünf Jahre hat der 68er unschuldig im Gefängnis gesessen. Ein Linker „in Maßen“, also ganz wie Fabio Montale. Wie dieser ist Pagano gescheitert in der Liebe, skeptisch beobachtet er die Umgestaltung seiner Stadt durch Bauspekulanten, gelegentlich greift er sogar zu Montales Lieblingswhiskey Lagavulin. In Italien ist Morchios Ermittler mit vier Büchern längst in Serie gegangen, auf Deutsch liegt nun sein erster Fall vor.

Genau genommen handelt es sich um zwei Fälle: Es ist kurz vor Weihnachten 2002, als ein linksalternativer Radiosender in der Stadt plakatieren lässt: „Fünf Kugeln, und Italien ist sauber“. Anrufer erstellen eine Liste der meistgehassten Personen, der Ministerpräsident rangiert ganz oben. Kurz darauf verschwindet ein Präzisionsgewehr aus dem Sender. Da ein zwielichtiger Terrorist in den Diebstahl verwickelt ist, besteht die Gefahr, das Gewehr könne tatsächlich benutzt werden. Und der Ministerpräsident weilt demnächst zu einem Besuch in der Stadt… Gleichzeitig steht Pagano im Auftrag der Pellegrinis, einer mächtigen Genueser Familie. Deren Oberhaupt, eine resolute, alternde Dame, befürchtet Schaden für das Familienimperium durch einen ehemaligen Berater. Pagano folgt den Spuren und stößt auf mafiöse Organisationen, die mit höchst angesehenen Versicherungs- und Finanzierungsgesellschaften kooperieren. Und wieder kommt der Ministerpräsident ins Spiel.

Dennoch, „Kalter Wind in Genua“ ist weit mehr als ein bissiger Berlusconi-Roman. Morchio verhandelt die für Italien so typischen politischen Destabilisierungsszenarien, den Verbleib von Utopien und den G8-Gipfel von Genua, der wie ein Alptraum auf der italienischen Linken lastet. Zudem setzt er die einst mächtige Seerepublik mit ihren afrikanischen und lateinamerikanischen Immigranten in den carruggi, den engen Gassen der Altstadt, folklorefrei und ganz wunderbar in Szene. Vor allem aber beschreibt er die neue mediterrane Wirtschaftsordnung mit ihrer fließenden Grenze zwischen schmutzigem und sauberem Geld.

Denn der Mittelmeerraum, weiß man seit den Büchern des Historikers Fernand Braudel, ist mit den Atlantiküberfahrten und der Entdeckung Amerikas ökonomisch ins Hintertreffen geraten. Derzeit aber erlebt er einen Wiederaufstieg – als Verbrechensraum. Literarisch hat sich dieser finstere Boom im Subgenre des „Noir méditerranéen“ niedergeschlagen. Zu seinen Protagonisten zählen der Spanier Manuel Vázquez Montalbán, der Algerier Yasmina Khadra, Massimo Carlotto aus Italien und natürlich Jean-Claude Izzo. Nicht zu vergessen der Deutsche Veit Heinichen, der seinen Kommissar Proteo Laurenti bereits zum fünften Mal an einer wenig beleuchteten Küste ermitteln lässt: dem für kriminelle Aktivitäten jeglicher Art prädestinierten Grenzraum von Triest.

Einmal mehr bekommt es Laurenti mit seinen ewigen Gegenspielern zu tun, dem kroatischen Geschwisterpaar Viktor und Tatjana Drakic. Die beiden betreiben in großem Stil Produktpiraterie, sind im Sektor der illegalen Müllentsorgung und der Schutzgelderpressung am Schwarzarbeitsmarkt aktiv. Anschließend wird das Geld in der legalen Wirtschaft investiert. Keine Frage, wie immer bewegt sich Heinichen auf der Höhe aktuellster Verbrechensformen. Wie immer arbeitet er mit filmischen Schnitt- und Gegenschnitttechniken, gibt es handwerklich wenig zu mäkeln. Und doch lässt sich kaum übersehen, dass er seinen Plot mit einer gewissen Routine abspult. „Totentanz“ wirkt im Vergleich zu den – freilich hochkomplexen – Vorgängerromanen fast ein wenig schlicht. Was fehlt, ist die historische Dimension, die turbulente Geschichte der Stadt Triest mit ihren wechselnden nationalen Zugehörigkeiten. Erstaunlicherweise geht es dem dramaturgischen Widerpart Laurentis, dem Oberschurken Drakic, nun ernsthaft an den Kragen. Außerdem bringt Heinichen seinen Ermittler – übrigens mittels eines Präzisionsgewehrs – in tödliche Bedrängnis. Da liegt der Verdacht nahe, der Autor probe den Ausstieg aus der Serie.

Der kriminalliterarischen Produktivität des Mittelmeerraumes könnte das allerdings kaum Abbruch tun. Denn dieser Raum ist nicht nur, wie George Duby schreibt, „die innerste Quelle der Kultur, aus der unsere Zivilisation sich speist“. Er ist eine der weltweit größten Geldwaschanlagen und ein sprudelnder Quell moderner Verbrechenskultur.

Bruno Morchio: Kalter Wind in Genua. Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler, Unionsverlag, Zürich 2007, 320 S., 19,90 €.

Veit Heinichen: Totentanz, Zsolnay Verlag , Wien 2007, 320 S., 19,90 €.

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