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Poesiefestival: Die Tränen und das Salz des Meeres

Wie Portugal und Brasilien klingen: Das Berliner Poesiefestival widmet sich dem Phänomen der Lusophonie.

Gute Lyrik klingt. Fernando Pessoa, der wohl bedeutendste moderne Dichter Portugals, schreibt: „Meine Seele ist ein verborgenes Orchester. Ich kenne mich nur als Symphonie.“ Und weil das Poesiefestival seinen diesjährigen Schwerpunkt auf die Lusophonie setzt, werden auch Pessoas Urenkel in Berlin zu hören sein. Die allerdings kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen: aus Mosambik, Angola, den Kapverdischen Inseln oder Brasilien, die einst alle zum portugiesischen Weltreich gehörten. In seinen „Lusiaden“ hatte Camões, der portugiesische Nationaldichter des 16. Jahrhunderts, Reich und Seefahrt noch zum Mythos erhoben. Mehr als drei Jahrhunderte später konnte Pessoa nur noch die Utopie jenes Reiches träumen: „O salziges Meer, wie viel von deinem Salz sind doch die Tränen Portugals.“

Darin liegt jenes Gefühl, das in der atlantisch-lusophonen Welt saudade heißt, Lyrik und Musik durchdringt, und das beim Poesiefestival schlicht mit „Sehnsucht nach der Sehnsucht“ übersetzt wird. In die portugiesischsprachige Lyrik aus Afrika sind indessen eher handfeste postkoloniale Konflikte eingeflossen: Bürgerkriege, Migration, Armut. Aber auch die kulturelle wie sprachliche Kreolisierung spiegelt sich dort wieder. Und nicht selten sind Text und Musik untrennbar miteinander verbunden.

Mário Lúcio, kapverdischer Dichter, Komponist und Bandleader von Simentera, sagt über sein gerade erschienenes Soloalbum „Badyo“: „Ich wollte ein organisches Album aufnehmen, dessen Haut den Geruch von Gewürzen trägt.“ Sparsame Worte, Polka, Mazurka oder Funaná, eine einsaitige Geige, Besen oder Glasflaschen als Instrumente – Lyrik, die den Alltag auf dem Archipel durchdringt. Seine Musik klingt wie ein Blues zwischen drei Kontinenten, der tropische Blüten treibt. Lúcio wird während des Poesiefestivals dem Angolaner Kalaf begegnen, der mit Spoken Word und Performance experimentiert.

Zu den Höhepunkten des Festivals dürfte jedoch das erstmalige Zusammentreffen zweier Wortkünstler aus Brasilien zählen, die ihre Lyrik von Anfang an in den Dienst der Musik gestellt haben: Chico César und Arnaldo Antunes. Beide Künstler gehören der kulturellen Avantgarde ihres Landes an – und beide mit großem kommerziellem Erfolg. So ist César, ein ehemaliger Journalist, mittlerweile einer der gefragtesten Sänger und Songwriter Brasiliens. Seine Kompositionen sind von Stars wie Elba Ramalho, Daniela Mercury oder Maria Bethânia interpretiert worden.

César selbst besticht in seinen Liedern durch seine nasale Stimme, scharfen Humor und die poetische Bildgewalt der Texte. Auf der Bühne gibt er sich als Energiebündel mit Gitarre. Sein Repertoire: scharfzüngige, funky Folklore aus dem Nordosten und romantische Balladen. Césars provokative Ananas-Frisur ist inzwischen einem Kurzhaarschnitt gewichen, der kleine Mann aus Paraíba präsentiert sich derzeit als tropischer Gentleman.

Arnaldo Antunes dagegen kommt ursprünglich aus der alternativen Rockszene São Paulos und setzte mit seiner Band Titãs, die 1989 sogar auf dem Jazzfest in Montreux auftrat, neue Konturen. Daneben arbeitete er als visueller Künstler, Maler und Lyriker – eine Entwicklung, die andauert. So hat Antunes die brasilianische Konkrete Poesie fortgesetzt, in Deutschland wurden seine Arbeiten bereits auf der Kasseler Schau „Transfutur, Visuelle Poesie“ ausgestellt. Auch darin erweist sich Antunes als ein Erbe der Tropicália-Bewegung: Ihm geht es darum, das Wort als Artefakt in die Musik zu überführen. Auf der Bühne erscheint der Sänger mit seiner Bassstimme als exzellenter Performer, dessen Worte den ganzen Körper in ausufernde Bewegung bringen. Hin und wieder versprüht Antunes auch etwas saudade – etwa, wenn er in einem Musikvideo als solitärer Gitarrist im städtischen Bus quer durch São Paulo kreuzt.

Ob derlei metropolitane Melancholie zustande kommt, wenn Antunes auf César trifft, ist ungewiss. Zu unwägbar sind die beiden poetischen Rebellen, die sich kaum auf eine Linie festlegen lassen. Unvergessen ist allerdings die mehr oder weniger spontane Zusammenkunft der „Tribalistas“, die mit ihrem gleichnamigen, furiosen Album vor fünf Jahren einen Latin-Grammy gewannen. Zu den „Stammesgenossen“ zählten neben dem Pop-Intellektuellen Antunes noch das enfant terrible aus Bahia, Carlinhos Brown, sowie Marisa Monte, Songschreiberin und Pop-Artistin aus Rio.

Weniger spontan wird es bei dem Projekt „e.poesie“ zugehen, mit dem das Poesiefestival fünf Komponisten elektronischer Musik vorstellt, die den Werken zeitgenössischer deutscher Dichter ein ausgeklügeltes Soundscape verschaffen. Der Amerikaner Sidney Corbett wird den Ostberliner Johannes Jansen vertonen, Frank Niehusmann den Slammer Bas Böttcher und der Tscheche Vit Zouhar den Österreicher Peter Waterhouse. „e.poesie“ feiert den Übergang der analogen Welt der Dichtung in den digitalen Raum elektronischer Musik. In seinem „Buch der Unruhe“ schreibt Fernando Pessoa: „Ich betrachte die Poesie als ein Zwischending, einen Übergang von der Musik zur Prosa.“

Roman Rhode

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