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Politische Literatur: Ehemalige gibt es nicht

Honeckers politische Erben: Die Linkspartei gehöre auf den "Müllhaufen der Geschichte", fordert Hubertus Knabe.

Von Matthias Meisner

Hubertus Knabe, der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, spricht Angela Merkel frei. Bei der Kanzlerin sieht Knabe keine hässliche Verstrickung mit dem DDR-Apparat. Eine „bescheidene ehrenamtliche Funktion“ habe die heutige Kanzlerin gehabt, schreibt er in seinem Buch „Honeckers Erben“. Anlass für Aufarbeitung sieht Knabe weiter links: Mit dem Anspruch einer wissenschaftlichen Dokumentation – er verweist auf mehr als 600 Quellen – verspricht Knabe „die Wahrheit“ über die Linkspartei. Demnach wird sie bis heute gesteuert von SED- und Stasi-Kadern – auf den Zusatz „ehemalig“ verzichtet Knabe in diesem Zusammenhang. Lernfähigkeit spricht er den Genossen ab. Er bezweifelt auch, dass sich das Problem durch die demographische Entwicklung relativiert haben könnte.

Auf den „Müllhaufen der Geschichte“ gehöre die Linkspartei, fordert Knabe im Epilog seines Buches und greift dabei zur Nazi-Keule: „Dass eine demokratisch gewählte Partei keineswegs demokratisch sein muss, wissen die Deutschen spätestens seit dem Aufstieg der NSDAP.“ Dass die PDS 1990 nicht verboten wurde, bedauert Knabe – schließlich habe man, so sein Argument, doch auch gegen die NPD ein Verbotsverfahren angeschoben.

Knabes Begründung ist umfangreich, 448 Seiten hat das Buch, ist aber deshalb noch lange nicht schlüssig. Keine Frage, Lafontaines Truppe ist viel anzulasten. Da wären zum Beispiel der widersprüchliche Umgang mit ehemaligen Stasi-Spitzeln, das bizarre Treiben von Polit-Sektierern in den West-Gliederungen oder der Etikettenschwindel bei der mehrfachen Umbenennung der SED zur PDS, schließlich zur Partei Die Linke. Nur: Knabes Einschätzung, in den 20 Jahren seit der Wende seien die Nachfolger der SED kein bisschen glaubwürdiger geworden, ist nicht überzeugend. Zu erwähnen ist nicht nur der kleine Anfang der PDS, den Bruch mit dem „Stalinismus als System“ zu verkünden und sich von der einstigen Spitzengarnitur der SED zu trennen. Zumindest mit Teilerfolgen haben auch in den Jahren später viele Funktionäre die Verbrechen des SED-Regimes eingeräumt und gegen alte Genossen für eine Erneuerung der Partei gestritten. Wenn Knabe auf diese selbstkritische Befassung der PDS und später der Linkspartei mit ihrer eigenen Geschichte eingeht, dann nur verknüpft mit dem Vorwurf des Opportunismus. „Um an die Schalthebel der Macht zu gelangen“, schreibt er, habe sich die Linkspartei „die eine oder andere gewundene Erklärung abgerungen“.

Freunde von Verschwörungstheorien aber kommen auf ihre Kosten. Ausführlich klärt der Autor auf über die Treffen der angeblichen Duz-Freunde Lafontaine und Honecker in den 80er Jahren – mit der „saarländischen Männerfreundschaft“ fing demnach alles an. Die scharfe Anklage setzt er unter der Überschrift „Der Milliardenschatz“ fort, nun geht es um das SED-Vermögen und was davon die PDS eingeheimst hat. Zum Ende des Kapitels berichtet er, dass Linkspartei-Funktionäre wie Bodo Ramelow, Petra Pau und Hans Modrow zehntausende von Euro an die eigene Partei gespendet hätten. Die Schlussfolgerung, heutige Linkspolitiker könnten sich am SED-Vermögen bedient haben, legt Knabe nahe, ohne etwas Neues in der Hand zu haben.

Es schadet sicher nicht, dass Knabe noch einmal aufzählt, welchen Linkspartei-Funktionären Stasi-Verstrickungen anzulasten sind. Mancher Fall, etwa der von André Brie, ist in Vergessenheit geraten. Andere, etwa von heutigen Spitzenpolitikern der Linken in Brandenburg, werden zu wenig diskutiert. Ärgerlich ist die Penetranz, mit der Knabe beinahe jedem Verdacht nachgeht – selbst die Vorwürfe gegen die frühere PDS-Vizechefin Angela Marquardt, die heute bei der SPD ist, kocht er noch einmal auf. Sie sollte im Alter von 15 Jahren als Stasi-Mitarbeiterin gewonnen werden. Selbst der Immunitätsausschuss des Bundestages sah in diesem Fall – anders als bei Gregor Gysi – eine Stasi-Mitarbeit nicht als erwiesen an.

Erstaunlich nachsichtig ist Knabe mit CDU und FDP, die nach der Wende die früheren Blockparteien CDU, DBD, LDPD und NDPD geschluckt haben. Zu Dutzenden saßen ehemalige Mitarbeiter der Stasi nach der Wende in den Ost-Landtagen. Sachsens damaliger Ministerpräsident Biedenkopf machte sogar einen ehemaligen IM zum Innenminister. Macht ausgeübt in der DDR habe nur die SED, schreibt Knabe zu diesem Thema, die Blockparteien seien „nur fünftes Rad am Wagen“ gewesen. Knabe lobt: Wenn überhaupt ehemalige Funktionäre der Blockparteien noch heute für CDU oder FDP in den Parlamenten sitzen, so wollten sie inzwischen „mit dem Sozialismus nichts mehr zu tun haben“. In dieser Wertung unterscheidet er sich deutlich von anderen Autoren. Schon vor Jahren beschäftigte sich der Historiker Christian von Ditfurth im Buch „Blockflöten“ ausführlich mit diesem Aspekt. Und eben erst haben Uwe Müller und Grit Hartmann in dem Titel „Vorwärts und vergessen!“ angeprangert, dass neben ehemaligen SED-Funktionären auch viele CDU-Blockflöten wieder Schlüsselpositionen einnähmen.

Zwei Feindbilder pflegt Knabe. Zum einen die Linkspartei – und die SPD. Schon in den 90er Jahren hätten die Sozialdemokraten die PDS „salonfähig“ gemacht, aus „purem Machtstreben“. Führende SPD-Politiker hätten so die eigene Partei „in eine tiefe Krise gestürzt“. Auf die Lage in Sachsen geht Knabe nicht ein: In diesem Bundesland hat sich die SPD anders als sonst im Osten von PDS und Linkspartei in all den Jahren ferngehalten. Aber das war ihr nicht nützlich – bei der Landtagswahl vor fünf Jahren stürzte die SPD im Freistaat auf einen Stimmenanteil von 9,8 Prozent.


– Hubertus Knabe: Honeckers Erben. Die Wahrheit über die Linke.
Propyläen Verlag, Berlin 2009. 448 Seiten, 22,90 Euro.

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