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Rezension: Der Sterntalerbub

Märchen aus den Zeiten des Global Business: Ditha Brickwells Novelle „Verletzte Paradiese“.

Was macht ein gerade gefeuerter Manager, wenn er sich sagen muss, dass die Entlassung in seinem Alter das endgültige Aus bedeutet? Er verschafft sich Zeit zum Nachdenken, spielt – bereits ohne Vollmachten – auf einer letzten Dienstreise die gewohnte Rolle einen Tag weiter. Abends beim Heurigen im Wienerwald lernt er eine Winzerwitwe kennen, folgt ihrer Einladung in eine nahe gelegene Hütte in den Weinbergen.

Ditha Brickwell, die 1941 in Wien geborene, seit langem in Berlin lebende Architektin und Schriftstellerin, lässt in ihrer neuen Novelle „Verletzte Paradiese“ – wie in ihrem 2001 erschienenen Roman „Der Kinderdieb“ – einmal mehr eine vom Leben aussortierte Figur auftreten. Viktoria hat eine dunkle Vergangenheit als Streunerin, wienerisch: „Strawanzerin“ hinter sich. Erst die Liebe eines alten Winzers, der sie heiratete und ihr die Hütte vererbte, hat ihr Halt gegeben. Der angeschlagene Ex-Manager Hans findet bei ihr für eine Nacht Zerstreuung, den Trost des ganz anderen. Einen Moment lang beneidet er sie sogar um ihr Hexenhäuschen mit Wein, Holzbank und Ofen – nicht ahnend, was in der respektabel wirkenden Winzerwitwe vorgeht.

Ditha Brickwell erzählt diese Begegnung aus wechselnder Perspektive, beleuchtet trennscharf, wie die beiden einander sehen, was sie voneinander halten: Aus Viktorias Sicht gehört der feine Herr mit dem ledernen Handkoffer zu den „Risikospielern“ aus den Chefetagen, die die Zukunft anbeten. Nur scheint ihn seine „Göttin Zukunft“ verlassen zu haben. So versucht Viktoria erst mit List, dann mit krimineller Energie, den Koffer an sich zu bringen, in dem sie Safeschlüssel und Passwörter zu Bankkonten vermutet. Gelänge ihr das, wäre Hans ihr „Sterntalerbub“ und sie – wie schon einmal – reich „beschenkt“. „Verletzte Paradiese“ ist ein böses Märchen aus den härteren Zeiten des Global Business.

Ditha Brickwell: Verletzte Paradiese. Novelle. Mit Illustrationen von Linda Wolfsgruber. Mandelbaum Verlag, Wien 2009. 106 S., 17,80 €.

Rolf Strube

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