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roman

© Suhrkamp

Roman: Mekka der Tunten

Michal Witkowskis Roman über ein verlorenes sozialistisches Paradies. Der Autor orientiert er sich an Genet und Witold Gombrowicz.

Man stelle sich ein verworfenes, am Rand der Gesellschaft lebendes Völkchen vor. Nur die wenigsten wissen von seiner Existenz, und aus seiner Verborgenheit zieht es seine Kraft und Identität. Es besteht aus Männern, die sich mit weiblichen Namen rufen. Sie sind weder jung noch attraktiv, haben noch nie etwas von Schwulenemanzipation gehört und arbeiten tagsüber als Klofrau, Kioskverkäufer, Ansager auf dem Bahnhof, Garderobier oder Pförtner. Nachts aber werden diese Tunten aktiv, auf der Klappe, im Park, im Pornokino: in ihrer „beschissenen Mitte der Welt“.

Hier fühlen sich die Helden von Michal Witkowskis Roman „Lubiewo“ wohl. Oder besser: Sie taten es einmal. Denn der Kapitalismus hat sie aus ihrem sozialistischen Paradies vertrieben. Es heißt Lubiewo und ist ein Strand auf der Insel Wolin an der polnischen Ostseeküste, unweit der deutschen Grenze. Wo sich in den siebziger Jahren das Mekka der polnischen Tunten befand, tummeln sich in einem eigens eingerichteten Abschnitt heute selbstbewusste Gays.

Witkowski, 1975 in Breslau geboren, lässt das alte Lubiewo in einer fiktiven Reportage noch einmal aufleben und begegnet den Zeugen von damals Mitte der neunziger Jahre. Witkowskis Interesse gilt vor allem den Tunten, die äußerlich nicht auffallen wollen. Um für ihresgleichen erkennbar zu bleiben, reicht ihnen schon ein Ohrring, ein goldenes Kettchen oder ein Armreif, vielleicht ein bisschen Lippenstift. Sie wollen eine Rolle spielen, die Frauen schon nicht mehr annehmen wollen; sie ergehen sich in Passivität, Launenhaftigkeit, Unstetigkeit und Lust an Erniedrigung, wie der Erzähler in einer Minitheorie des „Sich-Verbiegens“ schreibt.

Witkowskis „Lubiewo“ ist eigentlich kein Roman, sondern eine Sammlung von kleinen Erzählungen und Essays. Bei denen, die das Buch als Milieustudie lesen wollen, kann es aber nur Missverständnisse hervorrufen. Witkowski geht es nicht um einen dokumentarischen Beitrag zur Sittengeschichte, er schildert auch keine Charaktere. Er betreibt die camphafte Stilisierung – und Überzeichnung – eines Typs. Wären seine Gestalten nur Kopien von Schwulen in New Yorker Clubs, wo schrille Dragqueens zwischen selbst gemachtem Glamour und Armut ihr Leben verbringen, wäre das Buch im Westen Europas kaum interessant.

Doch Witkowskis Gestalten zeichnen sich dadurch aus, dass sie ganz in ihrer verborgenen Lust aufgehen. Allesamt sind sie durchtrieben und untereinander unsolidarisch. Der Alltag der damaligen Volksrepublik Polen bietet einen verfremdenden Rahmen für diese bösen Tunten. In dieser Zeit leben die skurrilen Gestalten schon hauptsächlich von Erinnerungen und einer kläglichen Rente. In einer Reihe von Interviews schwärmen sie dem Erzähler, der selbst in der Tuntenwelt zu Hause ist, von ihren Abenteuern und dunklen Machenschaften vor. Die Tunten schrecken vor nichts zurück, um an den Heterokerl zu kommen.

Witkowski bedient sich – postmodern gewieft – verschiedener Genres: kleine Narrationsformen, knappe Dialogprotokolle nach dem Vorbild von Miron Bialoszewski, Interview, feuilletonistischer Essay, Collage, auch aus Werbung und Kontaktanzeigen. Auch der Erzählstil neigt zu Groteske, parodistischer Übertreibung und Maskenspiel. Hier knüpft Witkowski an die Erzählweise von Witold Gombrowicz an, der in den 1950er und 1960er Jahren gegen seine polnische Heimat im argentinischen Exil anschrieb.

Motivisch orientiert sich Witkowski entfernt an Jean Genet und macht, vom Niedrigen und Schmutzigen angezogen, das Genet’sche Liebesobjekt – den louis – als Begriff in der polnischen Literatur salonfähig. In seiner Schreibweise klingt er grobschlächtig luj. Ganz wie der Typ Mann, den er bezeichnet. Er ist die idealisierte Gestalt des heterosexuellen, gewalttätigen Kerls, der in der hermetischen Welt der Gefängnisse mit ihren Regeln und Ritualen gedeiht. Eine der gelungensten Szenen im Buch ist die Provokation vor dem Gefängnis. Zwei Tunten stehen vor der Strafanstalt für Schwerverbrecher wie vor dem Tempel ihres Begehrens und versuchen, die grau angezogenen Jungs hinter den vergitterten Fenstern mit lasziven Bewegungen zu erregen.

Gekonnt schildert Witkowski die Spannung, die in der Luft liegt, zwischen dem Kerker des Männlichen und der tragikomischen Freiheit der passiv Begehrenden. Ganz so gefahrlos wie in der Szene vor dem Hochsicherheitsgefängnis ist das Treiben der Tunte allerdings nicht. Nicht wenige von ihnen mussten die Begegnung mit dem luj mit dem Leben bezahlen. Die Tunten suchen den luj überall, wo niemand ist, um seine Triebe zu befriedigen: beim verlassenen Ehemann, in der russischen Kaserne, die es nach dem Abzug der Garnison auch nicht mehr gibt, oder auf dem Lkw-Parkplatz, wo zwischen den billigen Nutten auch mal eine Tunte ihre Chance bekommt.

Witkowski überzeugt erzählerisch nicht nur, weil er die Sprache der Gosse meisterhaft beherrscht, sondern auch, weil er ein Gespür für die entstellende Kraft der Lust hat, die jede saubere Ordnung durch Lächerlichkeit zerstören kann. Er zeigt den Abgrund hinter der Groteske.

Michal Witkowski: Lubiewo. Roman. Aus dem Polnischen von Christina Marie Hauptmeier. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007. 338 Seiten, 19,80 €.

Michael Zgodzay

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