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Schreibwaren: Wo es nach Kohl und Kohle riecht

Steffen Richter macht sich auf die Suche nach dem alten Neukölln. Kaum ein Berliner Stadtbezirk träumt heftiger vom Wandel.

Fährt man mit der U8 nach Süden, heißt es am Bahnhof Schönleinstraße: Last Exit Berlin. Dann beginnt Neukölln – Rütli-Distrikt, Schauplatz von Elend und Gewalt. Sagen böse Zungen. Das ist natürlich nur halbwahr. Die Frage aber ist, ob es das alte Neukölln noch gibt. Schließlich soll die Tempelhof-Schließung den Bezirk aufwerten, eine Alternativkultur blüht, Akademiker ziehen in den Kiez, der viel Wohnung für wenig Geld bietet.

Kaum ein Berliner Stadtbezirk träumt heftiger vom Wandel. Und wo ist das Neukölln mit bulligen Hausmeistern und dem Geruch nach Kohle und Kohl? Dieses lässt Johannes Groschupf in seinem Roman „Hinterhofhelden“ auferstehen. Damit liegt er im Trend der West-Berlin-Erinnerungsliteratur. Sie richtet sich auf Kreuzberg (Sven Regener), Wedding (Katja Lange-Müller) oder jetzt Neukölln. Bei Groschupf bezieht ein Student eine Wohnung mit Ofenheizung in der Sonnenallee. Statt nach Dahlem an die Uni zu fahren, betreibt er mit seiner Kamera soziologische Feldforschung in Neukölln. Dass das nicht nur Neuköllner interessiert, zeigt Groschupfs Lesetour: Am 3.6. (20 Uhr) kommt er nach Mitte ins Brecht-Haus (Chausseestr. 125), am 8.6. (20 Uhr) nach Kreuzberg zu Britta Gansebohm ins BKA-Theater (Mehringdamm 34). So richtig stilecht ist der Auftritt aber nur in der wunderbaren Kneipe Laika am 5. Juni (20.30 Uhr ), in der Emserstr. 131 – natürlich Neukölln.

Dass Groschupfs Student auch als Taxifahrer jobbt, ist selbstverständlich. Genaueres zu diesem Gewerbe weiß Uli Hannemann, der nach seinem Buch „Neulich in Neukölln“ nun „Neulich im Taxi“ vorlegt und bei Hugendubel im Forum Neukölln vorliest (4. Juni, 19.30 Uhr, KarlMarx-Str. 66). Es fragt sich aber, ob es nach Englischschulungen und Freundlichkeitsappellen den mies gelaunten, desorientierten, grummelnden Taxifahrer noch gibt. Vermutlich ist er eher ein Fall für das „Lexikon der verschwundenen Dinge“. Vieles aber, was die Radioeins-Moderatoren Volker Wieprecht und Robert Skuppin für verschwunden halten, steht in schönster Blüte. Klar gibt es noch Fahrradflicken. „Star Trek“ läuft unverdrossen auf Kabel eins. Sogar Postfilialen sieht man noch. Das könnte man den Herren am 4. Juni (20.15 Uhr) in Lehmanns Fachbuchhandlung (Hardenbergstr. 5, Charlottenburg) mal sagen. Und wer zwischen Hermann- und Richardplatz genau hinschaut, findet auch das alte Neukölln. So schnell verschwindet nichts.

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