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Dichtung: Shantih shantih

Worauf man sich mit den 434 Zeilen von T. S. Eliots Langgedicht "The Waste Land" einlässt, das ist auch gut 80 Jahre nach der ersten Veröffentlichung 1922 eine Schwindel erregende Angelegenheit. Jetzt wurde das Poem neu übersetzt.

Von Gregor Dotzauer

Je nachdem, aus welcher Perspektive man sich diesem von Eliots Dichterfreund Ezra Pound bewusst zersplitterten Text zuwendet, hat man es mit dem Geniestreich eines 30-Jährigen zu tun, durch den die Geister von Dante, Baudelaire und Shakespeare huschen, oder mit dem organisierten Wahnsinn eines von tausend Erinnyen Gehetzten, der den Boden unter den Füßen verloren hatte.

Selbst namhafte Kritiker waren sich nicht einig, was man diesem Ungetüm gedanklich zutrauen dürfe. Julius Bab etwa meinte, es könne ein Gefühl der Seekrankheit auslösen: Ein Schlag auf den Hinterkopf habe in etwa den gleichen Effekt. Fest steht nur, dass Eliots „Waste Land“ im deutschen Sprachraum heute eher den Rang eines Mythos einnimmt, als den Status eines tatsächlich gelesenen Werks. Von der berühmten Eröffnungszeile „April is the cruellest month“ bis zur finalen Beschwörung „Shantih shantih shantih“, einer hinduistischen Friedensformel aus den Upanischaden, verdunkelt es sich in einer Unkenntnis, die sicher auch damit zu tun hat, dass lange keine zeitgemäße Übersetzung vorlag.

Dieses Hindernis hat nun der Berliner Dichter Norbert Hummelt aus dem Weg geräumt und im „Schreibheft“ (Nr. 70/April 2008) unter dem Titel „Das öde Land“ eine Fassung veröffentlicht, die Ernst Robert Curtius den Staub wegbläst und Eva Hesses preziös aufgetakelter Übertragung das Feld mit nüchterner Genauigkeit streitig macht. Ende August soll sie bei Suhrkamp als Buch erscheinen – Seite an Seite mit den Vorgängern.

Wer diesem schwierigen Stück Dichtung noch näher kommen wollte, brauchte nur zuhören, wie Hummelt in der Akademie der Künste am Hanseatenweg mit Durs Grünbein sprach: ein wunderbares Beispiel dafür, wie man Lyrik mit Analyse und Enthusiasmus vermitteln kann. Denn Eliots Behauptung „Genuine poetry can communicate before it is understood“ gilt noch immer: Wahre Dichtung spricht zu einem, bevor man sie verstanden hat. Es gebe, erklärte Grünbein, kein anderes Langpoem, das die „Leere des nachmetaphysischen Menschen“ in seinen Scherben ähnlich spiegle. Seine „augenblickliche Memorierbarkeit“ verdanke sich dem „absoluten Gehör eines Sprachmusikers“. Hummelt war als Anglistikstudent zum ersten Mal mit mit dem „Waste Land“ in Berührung gekomme, bevor es zum Angelpunkt seines eigenen Schreibens wurde. Seitdem begleitet es ihn – in der raunenden, Ehrfurcht heischenden Lesung von Eliot selbst bis zum Küchenabwasch.

Was Grünbein und Hummelt lustvoll entfalteten, wurde in der multimedialen Umsetzung von Schauspielschülern der Ernst Busch-Hochschule unter der Regie von Kalma Streun gleich wieder zunichte gemacht. Die stille Polyphonie des Textes wurde zwischen Livejazzfetzen chorisch aufgedonnert und ins Megaphon gebrüllt, seine Bedeutungsvielfalt accelerando dramatisch an die Rampe getragen: eine Revue von Rezitationsunsitten und Assoziationseinfällen, die meist nicht übers Illustrative hinauskamen. Dazwischen stand eine Eliot-Figur und wand sich in Krämpfen.

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