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Literatur: Traumlicht am Katastrophenrand

„Heimliche Feste“: Gedichte von Uwe Kolbe

Den „Vaterlandkanal“ hat Uwe Kolbe mittlerweile durchschwommen. Aber noch immer ist er ein Dichter des Unterwegsseins. Er topografiert seine Heimatgefühle, ohne sich seines Existenzrechts an den von ihm besungenen Sehnsuchtsorten je sicher zu sein. Seine Fantasien trieben ihn einst zu prekären Grenzübergängen wie „Bornholm II“ (so ein Gedichtband von 1986) und weg von den Zumutungen der DDR-Literaturpolitik. Seine neuen Gedichte schlagen nun einen Bogen von west- zu osteuropäischen Fixpunkten, an denen ein irisierendes Licht „aus den Träumen in den Tag herüberscheint“. Es ist ein unverhohlen romantisches Glücksversprechen, das in diesen lyrischen Reminiszenzen an Städte und Landschaften aufblitzt, in denen der Dichter einige unbedrängte Tage oder Wochen verbringen konnte.

Vor zehn Jahren hatte sich Kolbe von jenem utopischen Ort verabschiedet, der die Träume seiner Jugend prägte. Das sagenhafte „Vineta“ war ihm Chiffre für Hoffnung und Verbrechen, ein Ort, in dem zuletzt nur noch „das Schweigen der Macht“ hauste. In „Heimliche Feste“, das seinen Titel aus der IV. Römischen Elegie Goethes gewinnt, bricht Kolbe auf zu einer unendlichen Fahrt. Diese unendliche Fahrt in insgesamt acht Kapiteln beginnt mit dem Zyklus „Sailor’s Home“, in dem der romantische Vagabund als Getriebener gezeigt wird, der nur aus der Distanz seine Geliebte besingen kann. Ein Sänger, assoziativ verbunden mit dem Orpheus-Mythos, singt brüchige Liebeslieder „vom Rand der Katastrophen“. Dann schweift sein Blick über die milden Hügel „in Pfalzen“, und wendet sich schließlich nach Osten, wo eine Wiedergängerin versunkener Geschichte, „die Königin von Plowdiw“, in fast mythischem Glanz auftritt.

In all diesen Gedichten folgt Kolbe den metrischen Linien klassisch-romantischer Vorbilder – und konterkariert sie zugleich. Großartiger gelingt ihm die Vermittlung von Tradition und Moderne im Gedicht „Mantis religiosa“, in dem die legendäre Fangschrecke, die Gottesanbeterin, in einen stummen Dialog mit dem Dichter tritt. In einigen Ortserkundungen gerät er dagegen in Versuchung, die von ihm besungenen Landschaften quasi-touristisch auszustatten. In seinen intensivsten Gedichten bricht Kolbe Heinrich Heines Volksliedtöne mit seinem ureigenen „trostvoll leichten Jargon“. So entstehen berückende Texte, in denen Sehnsuchtsmelodien mit postindustriellen Wirklichkeiten und ernüchternden Gegengesängen zusammentreffen.

Uwe Kolbe: Heimliche Feste. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2008. 108 Seiten, 16,80 €.

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