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Vom Flüchtling zum Ankläger der Nazi-Verbrechen: Zeuge des Jahrhunderts

Biografie zu Ben Ferencz.

Benjamin Berell Ferencz wurde vor genau 100 Jahren in Transsylvanien geboren. Als Kleinkind gelangte er mit seinen Eltern nach New York. Instinktiv ergriff er aber schon als Knabe die Chancen der Neuen Welt. Da verkauften doch diese marktschreierischen Zeitungsjungen druckfrische Blätter. Also stieg auch er ein – ohne einen Cent zu investieren. Er verhökerte die Zeitungen von vorgestern, die er aus dem Abfallkeller holte.

Der kleine Bub, der nie über 1,55 Meter hinauswuchs, konnte kaum Englisch, weil die Mutter nur Jiddisch mit ihm sprach. Doch ein Lehrer erkannte seine Talente und empfahl ihn an eine Schule für Hochbegabte. Weil er stets die Turnstunde schwänzte, wurde er nicht zum Abschlussexamen zugelassen. Also ging er zum City College: ob er nicht ohne Highschool-Zeugnis studieren könne? Der dreiste Kerl durfte, weil er mit seiner Brillanz überzeugte. Der nächste Schritt war die Harvard Law School.

Professor Glueck bringt Glück

Auf diesem Olymp entdeckte ihn Professor Sheldon Glueck, der sich mit Kriegsverbrechen befasste. Ferencz ahnte nicht, dass Glueck am Anfang seiner Lebensaufgabe stand. Kurz nach D-Day landete er auf dem Kontinent. Dort gab Glueck der Rechtsabteilung der 3. Armee den entscheidenden Wink, G.I. Ben wurde der War Crimes Investigation zugeordnet. Er jagte Verdächtige und vernahm Zeugen. Erschüttert beschreibt er das Grauen der KZs in seinen Tagebuch-Aufzeichnungen, die Philipp Gut mit dramaturgischen Geschick in den Text einbaut.

Ferencz wurde ein Hauptankläger in Nürnberg. Er erwirkte Schuldsprüche gegen SS-Killer und Massenmörder im Generalsrang wie Otto Ohlendorf oder Paul Blobel. Packend beschreibt der gelernte Historiker Gut die Stimmung im Gerichtssaal, die Taktik der Anwälte und die Reaktionen draußen im Lande. Nach Ohlendorfs Hinrichtung standen 1300 Leute mit „deutschem Gruß“ am Grab.

Nach dem Prozess die Entschädigung

Ferencz blieb den Opfern auch nach Nürnberg treu. Er kämpfte für die Wiedergutmachung und stritt für Entschädigungen an Zwangsarbeiter. Das Geschacher von Siemens, AEG oder Krupp um mickrige Zahlungen liest sich wie ein Krimi der Schande. Dieses Buch über einen Helden der Gerechtigkeit, der so gut wie alles im blutigsten aller Jahrhunderte gesehen hat, ist eine ebenso aufrüttelnde wie spannende Geschichtsstunde, die auch heute ins Mark trifft.

Der kämpferische Jurist blieb bei seinem Metier. Bei der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes nahm er 1998 als „lebendes Symbol“ der Nürnberger Prozesse teil. Mit 91 hielt er ein Schlussplädoyer gegen den kongolesischen Milizenführer Lubanga. Damals fällte das Gericht sein erstes rechtskräftiges Urteil. Es ist Guts Verdienst, dass er ein exemplarisches Leben in einer entsetzlichen Zeit vor uns ausbreitet.

Philipp Gut: Jahrhundertzeuge Ben Ferencz. Chefankläger der Nürnberger Prozesse und leidenschaftlicher Kämpfer für Gerechtigkeit. Piper Verlag, München 2020. 352 S., 24 €.

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