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VON Tagesspiegel-AUTOREN: Wo, bitte, geht’s zum Paradies?

Man kann Oleg Jurjews Insel-Büchlein als Rückblick auf einige kleinere Arbeiten in den vergangenen Jahren lesen – oder als Vorgeschmack auf den großen Roman „Die große Fracht“, der im kommenden Februar bei Suhrkamp erscheint. Der russisch-jüdische Schalk, der seinen Texten ihren eigentümlichen Hintersinn verleiht, bleibt der gleiche.

Man kann Oleg Jurjews Insel-Büchlein als Rückblick auf einige kleinere Arbeiten in den vergangenen Jahren lesen – oder als Vorgeschmack auf den großen Roman „Die große Fracht“, der im kommenden Februar bei Suhrkamp erscheint. Der russisch-jüdische Schalk, der seinen Texten ihren eigentümlichen Hintersinn verleiht, bleibt der gleiche. Von den „Zwanzig Facetten der russischen Natur“, die seinem Bändchen den Titel gegeben haben, besitzt er vermutlich noch weitaus mehr – nur dass sie wie die sieben, die er nicht zu lüften wagt, „für den frontalen Blick sowieso unsichtbar“ sind. Denn der Russe hat, wie er im Gegensatz zum Europäer behauptet, „eine unendliche Menge Persönlichkeiten“.

Diejenigen, die Tagesspiegel-Leser von ihm kennen, entfalten sich seit zwei Jahren regelmäßig in der Kolumne „Jurjews Klassiker“ auf der Literaturseite, wo er, wie es sich gehört, regelmäßig über russische Dichter schreibt, aber auch über W. H. Auden, Henry Fielding, Raymond Radiguet, John Milton oder Theodor Kramer – falls es sich bei ihnen nicht auch auf die eine oder andere Weise um Russen handelt. Schließlich sind die Russen, wie er aus Erfahrung weiß, „immer unzufrieden“ und gleichen darin dem Künstler. Oder was bedeutet es, wenn Jurjew diagnostiziert: „Die Russen vergleichen Russland mit dem Paradies, und die Tatsache, dass es dem Paradies nicht ganz gleicht, erfüllt sie mit Trauer und Zorn.“

Oleg Jurjew, 1959 in Leningrad geboren und seit Anfang der neunziger Jahre in Frankfurt am Main zu Hause, schreibt seine Romane – zuletzt erschien „Der neue Golem oder Der Krieg der Kinder und Greise“ – nach wie vor auf Russisch. Seine kürzeren, glossenartigen Texte aber entstehen auf Deutsch. Darunter sind auch Kabinettstücke wie das „Hohelied auf die Telnjaschka“, eine in den „Zwanzig Facetten“ enthaltene Erinnerung an das Matrosenunterhemd, mit dem er wie so viele kleine Russen als Kind im Fotoatelier posieren musste.

Beigegeben sind dem Band zehn Abbildungen von Gemälden des hierzulande kaum bekannten, einem Star der russischen Avantgarde wie Kasimir Malewitsch aber durchaus ebenbürtigen Malers Kusma Sergejewitsch Petrow-Wodkin (1878-1939). Es sind mit einer Ausnahme Stillleben: Arrangements mit Fisch und Brot, Teelöffel und Spiegel oder Zitrone und Weinglas, von trügerischer Einfachheit. dotz

Oleg Jurjew:

Zwanzig Facetten der russischen Natur.

Mit zehn Bildern von Kusma Petrow-Wodkin. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2008. 68 Seiten, 12,80 €.

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