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Literaturfestival: Wir waren dabei

Beim Berliner Literaturfestival lesen Christian Kracht und Peter Schneider vor - und setzen dabei auf die Faszination des Dabeigewesenseins.

Moderatoren haben es schwer auf Dichterlesungen. Ein Schriftsteller schreibt, und wenn er großzügig ist, liest er aus dem Geschriebenen auch öffentlich vor. Doch warum um Himmels willen soll er auch noch Fragen zu seiner Dichtung beantworten? Martin Walser zum Beispiel lässt Moderatoren auf seinen Lesungen gern für diese Zumutung leiden, indem er auf Fragen erst einmal ächzend die Position im Stuhl verändert, dann langwierig einen Schluck Wein nimmt, um sich nach schmatzenden Geräuschen des Unmuts zu einer abfälligen Antwort durchzuringen. Dagegen hat es Marius Meller mit Christian Kracht verhältnismäßig leicht. Er muss nur Krachts Schweigen aushalten.

Meller stellt im Foyer des Hauses der Berliner Festspiele die Regeln vor: Es gibt keine Fragen, weder von ihm noch aus dem Publikum, und folglich auch kein Gespräch – ihm bleibt nur die kurze Vorstellung des Autors, in der gleich die Worte „Pop“ und „Oberfläche“ vorkommen. Da hat Christian Kracht freilich schon gewonnen, denn man achtet mehr auf sein spöttisches Mienenspiel als auf die Äußerungen des Moderators, die ohnehin allgemein bleiben müssen, denn Kracht hat nicht verraten, was er lesen wird. Die angekündigten „unveröffentlichten Texte“, die er vom Apple Notebook vorträgt, sind dann keineswegs unveröffentlicht, sondern alle schon in der „FAZ“ erschienen.

Drei Reportagen: über einen Ägyptenaufenthalt auf Einladung des Goethe-Instituts, bei dem Thomas Brussig keine gute Figur macht und Kracht sich dazu entschließt, Julia Franck sympathisch zu finden. Über einen Fastenaufenthalt in einer Klinik am Bodensee, bei dem nicht nur das Leiden während eines Einlaufs, sondern auch die Wahrnehmungsveränderungen durch Hungern plastisch werden. Über eine Reise nach Sizilien, auf den Spuren von Aleister Crowley, einem Esoteriker mit bizarren Sexualpraktiken, um den zeitlebens die Gerüchtewolke des Satanismus waberte. Es ist der schwächste Text, obwohl Kracht mächtig mit der provokanten Faszination für Crowley kokettiert. Aber der Besuch in dessen verfallener Villa führt nicht in unheimliche Außen- oder Innenwelten, sondern strahlt bis zum Schluss nur den Pfadfinderstolz über einen ungewöhnlichen Ausflug aus. Immerhin brachte der Text Kracht kürzlich eine an den Haaren herbeigezogene Polemik in der „Süddeutschen“ ein, die ihn in Verbindung mit satanistischen und rechten Kreisen brachte.

Kracht liest ruhig und raffiniert. Seine hanseatische Diskretion suggeriert Understatement und bläst doch jedes Wort bedeutungshuberisch auf. Man erwartet Essenzielles und bekommt gehobenen Klatsch, zarte Selbstironie und schöne Landschaftsbeschreibungen, die manchmal auch danebengehen – also immer einen enttäuschenden und nach mehr verlangenden Tick zu wenig. Auch wenn das keine literarische Kunst ist, so ist Kracht doch ein Meister im Vorbereiten und Inszenieren von Pseudoereignissen: es passiert zwar nichts, aber man war dabei.

Auch bei Peter Schneider, der zwei Stunden später auf dem Podium sitzt und einige Jahrzehnte älter ist, geht es ums Dabeigewesensein. Aber wie anders ist seine Strategie! Während Kracht sich mit guruhafter Stille umgibt, kumpelt Peter Schneider das Publikum gleich an, als würde er mit ihm an der Kneipentheke stehen. Stolz wie Bolle erzählt Schneider, wie das damals war, als er mit Rudi Dutschke in einer Charlottenburger Wohnung die Ressorts einer künftigen West-Berliner Räterepublik verteilte. Er, Schneider, sollte natürlich für die Kultur zuständig sein. Oder war Dutschke doch nicht dabei? Egal! Demonstrationen. Happenings. Revolutionsgeschwängerte Luft an der FU. Eine Operninszenierung, die von einem gewissen Andreas Baader gestört wird.

Mit „Lenz“ wurde Schneider 1973 zum Kultautor der Studentenbewegung. Jetzt hat er Tagebücher aus den Jahren davor durchforstet – „teilweise entsetzt über den jungen Mann von damals“ – und wartet nicht nur mit zahlreichen Anekdoten auf, sondern versucht auch, den Prozess vom „Ich zum Wir“ nachzuzeichnen. Das will man gern lesen, wenn es im nächsten Frühjahr erscheint, schwarz auf weiß und nicht begleitet von Schneiders mokantem Augenzwinkern. Ein fast 70-jähriger Mann, der von den „kleinen festen Brüsten“ Uschi Obermaiers schwärmt. Da verzichtet man gern aufs Dabeisein.

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