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Literaturnobelpreis verschiebt sich: Adonis und Philip Roth müssen warten

Die Jury des Literaturnobelpreises liebt Überraschungen. Wie diese: Diesmal wird die Auszeichnung wohl nicht in der traditionellen Nobelpreiswoche verkündet.

Das Geheimnis um den Literaturnobelpreisträger soll laut einem Mitglied der Jury am 13. Oktober gelüftet werden. Darüber habe es „keine Meinungsverschiedenheiten“ gegeben, sagte der Schriftsteller Per Wästberg am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Stockholm. Bei der Schwedischen Akademie seien in diesem Jahr rund 220 Nominierungen eingegangen. Ein Sprecher der Akademie bestätigte die Angaben zunächst nicht. „Ich weiß nicht, ob das stimmt“, sagte er. „Ich halte mich an die übliche Vorgehensweise.“ Danach gibt die Akademie an einem Montag in der ersten Oktoberhälfte bekannt, ob der Preis am Donnerstag derselben Woche verkündet wird.

Shortlist hat fünf Namen

Wästberg ist Vorsitzender des Nobelkomitees aus fünf Mitgliedern der Schwedischen Akademie, das der gesamten Akademie in der Regel im Mai eine Shortlist mit fünf Namen präsentiert. Aus diesen Autoren wählt die Akademie in einem Mehrheitsvotum den Nobelpreisträger aus. „Das Nobelkomitee hat seine Gedanken zur Shortlist am 22. September präsentiert“, sagte Wästberg. Am vergangenen Donnerstag habe die ganze Akademie, die aus 18 Schriftstellern, Historikern, Literatur- und Sprachwissenschaftlern besteht, die Liste diskutiert. Am kommenden Donnerstag stehe eine Testabstimmung an. Die eigentliche Wahl finde am 13. Oktober kurz vor der Verkündung um 13 Uhr statt.

Testabstimmung am Donnerstag

Ungewöhnlich ist das, weil der Preis in der Vergangenheit häufig in derselben Woche wie die anderen Nobelpreise verkündet wurde. Das wäre damit nicht der Fall: Die Preisträger in Medizin, Physik, Chemie und Frieden werden bereits in der kommenden Woche bekanntgegeben. Und wer könnte den Literaturnobelpreis bekommen? Vielleicht endlich Adonis? „Nein nein nein!“ Der syrische Dichter wackelt mit dem Zeigefinger hin und her und schüttelt vehement den Kopf. Über den Nobelpreis will er nicht reden. Zu oft hat der 86-Jährige schon als ein Favorit auf die berühmteste Literaturauszeichnung der Welt gegolten - und den Preis dann doch nicht bekommen. Auch vor der diesjährigen Verkündung in der ersten Oktoberhälfte sieht das Wettbüro Ladbrokes ihn weit vorne. Droht der bedeutenden Stimme der arabischen Welt wieder dasselbe Schicksal?

Adonis ist zu alt

„Ich glaube, er ist zu alt“, sagt Stephen Farran-Lee. Der Schwede hockt auf den breiten Treppen, die sein Verlag Natur & Kultur als Sitzgelegenheit an dem geräumigen Stand auf der Buchmesse in Göteborg aufgebaut hat. „Ich habe seinen Namen zum ersten Mal 1987 gehört. Jetzt ist es vielleicht ein bisschen zu spät.“ Auch der Verleger Svante Weyler, der seine Bücher in der Nähe aufgebaut hat, zweifelt an den Chancen des Syrers. „Er schreibt nicht genug gute Gedichte“, sagt Weyler. „Und er würde als Kandidat für die arabische Literatur gesehen. Die Akademie scheut sich vor repräsentativen Kandidaten.“ Die Spekulationen vor der Preisvergabe durch die höchst verschwiegene Jury gründen aber häufig auf Proporz. Wann gab es zuletzt einen Preisträger aus Afrika? Wäre es nicht Zeit für einen Dramatiker? Dann könnte es der Norweger Jon Fosse werden, munkeln Kenner auf der größten Buchmesse Skandinaviens. Aber die Schwedische Akademie, die den Preisträger kürt, schreckt vor nordischen Kandidaten zurück, seit sie 1974 mit Eyvind Johnson und Harry Martinson zwei ihrer Mitglieder auszeichnete und Schelte kassierte. Erst einmal ging der Preis seitdem an einen Skandinavier: den schwedischen Dichter Tomas Tranströmer 2011. Zum Glück ein ganz unumstrittener Kandidat.

Die Akademie arbeitet wie die CIA

Auch die Akademie ist auf der Buchmesse kurz vor der Preisvergabe vertreten, die Juroren mischen sich unter die Besucher. Der frühere Ständige Sekretär Horace Engdahl signiert sein neues Buch. „Als Journalist in Schweden guckst du in den Herbstwochen vor dem Nobelpreis immer genau hin, wenn du Mitglieder der Akademie siehst“, sagt die Literaturkritikerin Åsa Beckman von der Zeitung „Dagens Nyheter“. „Wir versuchen alle Zeichen zu deuten, die uns etwas darüber sagen, was sie lesen und diskutieren.“ Doch Engdahl und Co. wissen, dass sie beobachtet werden und lassen sich längst nicht mehr in die Karten gucken, meint Farran-Lee. „Das ist fast wie die CIA.“
Während der Verleger sich mit Favoriten für den diesjährigen Preis schwer tut, setzt die Journalistin Beckman auf den israelischen Schriftsteller David Grossman. „In den Spekulationen hört man häufig seinen Namen.“ Weylers heißester Tipp ist der Rumäne Mircea Cartarescu. „Cartarescu taugt für einen Nobelpreis. Er war ziemlch lange aktuell, jetzt hat er seine Trilogie vollendet. Er kommt aus Rumänien - alles könnte für Cartarescu sprechen.“

Nur Tipper lieben Murakami

In der Gunst der Tipper stehen dagegen wie schon in den vergangenen Jahren der Japaner Haruki Murakami, der kenianische Schriftsteller Ngugi Wa Thiong'o und der US-Amerikaner Philip Roth. Die Profis rechnen keinem von ihnen Chancen aus. Murakami sei „zu hip“, sagt Farran-Lee, „nicht die Art Schriftsteller, die die Akademie mag“. Wa Thiong'o laufe Gefahr, wie Roth als ewiger Kandidat zu enden, meint Weyler: „Wir wissen: Wenn jemand drei Jahre auf der Shortlist der Nobeljury gestanden hat und keine Mehrheit gefunden wurde, ist er oder sie weg vom Fenster.“ Manche schafften es später mit neuen Werken wieder auf die Liste und bekämen dann doch den Preis, wie J.M.G Le Clezio 2008. Doch für den 83-jährigen Roth, der 2012 seinen Rückzug vom Schreibtisch verkündet hatte, könnte es zu spät sein.
Also vielleicht doch Adonis? Sein Verleger Simon Brouwers ist überzeugt: „Er ist einer der besten Dichter der Welt.“ Und: „Er wäre eine wirklich mutige Wahl.“ dpa

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