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Stadt des Jetzt. Peter Tokofsky vor den Hollywood-Fotografien von Greg Bannan, die noch bis 27. August in der Galerie Imago Fotokunst ausgestellt sind (Linienstraße 145, Mitte. Do–Sa 14–18 Uhr, Eintritt frei).

© Doris Spiekermann-Klaas

Los Angeles - Berlin: „Die Admiralbrücke? Bei uns undenkbar“

Regentage, Bier trinken auf der Straße und der Wert von Geschichte: Ein Gespräch mit dem kalifornischen Kulturwissenschaftler Peter Tokofsky über eine Ausstellung von Hollywood-Fotos und die Unterschiede zwischen Los Angeles und Berlin.

Peter Tokofsky ist Professor für deutsche Kulturgeschichte an der Universität von Kalifornien und Programmmanager des Education Department des J. Paul Getty Museums in Los Angeles. Anlässlich der Fotoausstellung „Somewhere in Hollywood“ des US-Künstlers Greg Bannan hielt der 48-Jährige in der Galerie Imago Fotokunst in Mitte einen Vortrag über Straßenkulturen in L.A. und Berlin. Jan Oberländer wollte von ihm wissen, wie ein Kalifornier diese Stadt sieht.

Mister Tokofsky, seit Tagen regnet es in Berlin. Geht man hier mit schlechtem Wetter anders um als in L.A.?
Wir Angelinos sind schlechtes Wetter nicht gewöhnt. Diesen Sommer habe ich in Berlin mehr Regen gesehen als in L.A. in einem Jahr. Wenn es dort mal ein Gewitter gibt, ist das eine Newsstory, die Leute legen Sandsäcke vor ihre Türen.

Inwiefern beeinflusst das Wetter das Leben in einer Stadt?
In L.A. ist es selten, dass das Wetter mit unseren Plänen kollidiert. Vielleicht gelten Angelinos deshalb als oberflächlich: Wir müssen nicht planen, nichts vorbereiten, sondern können jederzeit eine Spazierfahrt machen oder an den Strand fahren. Dagegen gibt es in Berlin eine größere Wertschätzung für den Sommer: Kaum scheint die Sonne, sitzen die Leute in den Straßencafés. Eben weil es nicht selbstverständlich ist.

Wäre denn ein Ort wie die Admiralbrücke in Kreuzberg, wo die Leute unter freiem Himmel zusammensitzen, in L.A. denkbar?
Völlig undenkbar. Es herrscht eine ganz andere Vorstellung von öffentlichem Leben. Wenn man in Berlin ausgehen will, zieht man los, findet eine Bar, trinkt etwas, hört Musik. Bei uns macht das viel mehr Arbeit. Einerseits wegen der größeren Entfernungen: Man kommt nicht einfach an einer Bar vorbei und geht hinein. Außerdem gibt es keine improvisierten Kneipen wie in Berlin. In L.A. braucht ein Laden ein Thema, ein Design, ein Image. Man muss vorher wissen, wo man hin will.

Also: leere Straßen in Los Angeles?
Natürlich gibt es Gegenden, die ein Nachtleben haben. Und in den Latino-Vierteln gibt es eine Straßenkultur, es sind mehr Fußgänger unterwegs. Die Parks in L.A. werden nachts geschlossen, darum sitzen die Leute in den Einfahrten ihrer Mietshäuser. Sie grillen, machen ein paar Biere auf, haben eine gute Zeit.

Das klingt berlinig.
In L.A. ist es ein bisschen privater. Auch, weil man nicht einfach überall Alkohol trinken kann. Ich weiß nicht, was zuerst da war: Wir haben keine nennenswerte Straßenkultur, darum wird draußen auch kaum Alkohol getrunken. Aber vielleicht hätten wir mehr öffentliche Kultur, wenn man auch mal mit Freunden im Park eine Flasche Wein trinken dürfte.

Fänden Sie das erstrebenswert?
Ich sage mal so: Wenn ich in meinem Stadtteil, West Village, um halb elf aus dem Kino komme und hungrig bin, habe ich ein Problem, wenn ich nicht zu McDonald’s will. Es ist auch niemand auf der Straße, höchstens jemand, der seinen Hund ausführt. Ich hoffe schon, dass sich das ändert. Dass es zum Beispiel bald mehr öffentliche Verkehrsmittel gibt.

Was haben Busse und Bahnen mit Straßenkultur zu tun?
Die meisten Leute in L.A. haben Autos, auch die Armen. Aber die Benzinpreise steigen, man überlegt sich zweimal, ob man quer durch die Stadt fährt, um sich mit Freunden zu treffen. Darum verbringen viele Angelinos die meiste Zeit in ihrem Bezirk – so, als würden Sie immer nur in Kreuzberg bleiben. In Berlin kaufen Sie sich eine BVG-Karte und können fahren, wohin Sie wollen.

Viele Kreuzberger lieben ihr Kreuzberg.
Auch bei uns haben die Neighborhoods ihre eigenen Identitäten. Man sagt nicht: „Ich lebe in L.A.“, man sagt: „Ich wohne in Venice“ oder „Ich wohne im Valley“. Wie Berlin ist Los Angeles aus kleineren Städten zusammengewachsen. Wenn ich zu meinem Bruder nach Eagle Rock fahre, komme ich an der alten City Hall vorbei, wie hier am Rathaus Pankow. Der Unterschied ist: In Berlin kann man sich leicht zwischen den Kiezen bewegen. Wenn mir ein Freund aus Charlottenburg sagt: Komm zum Abendessen, dann fahre ich hin. In L.A. wäre das eine Reise. Mein Bruder wohnt 40 Kilometer entfernt.

Na, aber freitagabends? Zum Dinner?
Vergessen Sie es. Ich würde sagen: David, ich komme nicht. Samstags kann man es in 20, 30 Minuten schaffen. Es kann aber auch eine Stunde dauern.

Wie orientieren Sie sich eigentlich?
In Berlin habe ich mein iPhone, in L.A. kenne ich mich nach all den Jahren ziemlich gut aus. Früher habe ich einen Atlas benutzt, den Thomas Guide, wie alle. In Immobilienanzeigen stand: „Seite 42 im Thomas“. Da wusste man Bescheid.

Gute Gegend, schlechte Gegend: Ist Gentrifizierung in L.A. ein Thema?
Bei uns ist Gentrifizierung immer noch ein positiver Begriff. Das Viertel um die University of Southern California zum Beispiel war um 1900 eine der reichsten Gegenden von L.A., wunderschöne Häuser. Fünfzig Jahre später war hier ein Kriminalitätsschwerpunkt, 1965 waren die Watts- Riots um die Ecke. Die Häuser waren heruntergekommen, vernagelt. Aber 2010, in der Krise, als Leute sich nichts anderes in L.A. mehr leisten konnten, kauften sie eben dort ein Haus und renovierten es. Jetzt haben die Leute, die da seit den 70ern oder 80ern wohnen, ein Problem.

Weil die Mieten steigen.
Exakt. Trotzdem ist die gängige Sicht: Es ist eine gute Sache, wenn Leute sich um ihre Häuser kümmern. Die Stadt hat es nötig: Ich könnte Sie zu Ecken bringen, da würden Sie denken, Sie sind in Bulgarien.

Auch Greg Bannans Fotografien zeigen nicht gerade ein Hochglanz-Hollywood. Leere Donut-Läden, schrammelige Hotels.
Ich sehe die Bilder eher als Wertschätzung dessen, was da ist. Es ist Gregs Nachbarschaft, die zufällig berühmt ist und zufällig aus alten Gebäuden besteht. Es ist doch interessant, dass man hier nicht auf Postkarten schaut, sondern auf Lebensräume. Wie die High School auf dem einen Foto. Sie ist nicht besonders beeindruckend. Aber sie bekommt eine Bedeutung, eine Schönheit, wenn sie Teil deiner Welt ist – viel mehr als die Orte, die nur dazu da sind, dass man sie besichtigt.

Die Stadt wirkt bei Bannan ziemlich alt, liegt das daran, dass die Bilder schwarz-weiß sind?.
Naja, der Stadtkern von L.A. ist hunderte Jahre alt. Es gibt Spuren von den Ureinwohnern, den Spaniern. Es ist viel da, nur nicht so dramatisch wie Berlin. Vor allem ist es kaum aufbereitet. Ich hatte mal einen Reiseführer, der zeigte, wo die deutschen Exilanten lebten. Sonst fand man darüber nichts, es gab auch keine Infotafeln. So ist es eben: Die wenigsten Touristen, die nach Santa Monica kommen, wollen sagen: Ich habe Bertolt Brechts oder Thomas Manns Haus gesehen. Interessant ist aber, dass auch Hollywood jetzt alt genug ist, um historisiert zu werden Die Bücher mit den Adressen von Clark Gable oder Cary Grant sind nicht mehr gültig, die wohnen da nicht mehr.

Und jetzt fängt man an, sich auf die Geschichte zu besinnen?
Es gibt einige Künstler und Wissenschaftler, die versuchen, etwas zu tun. Im Zweiten Weltkrieg wurden japanischstämmige Amerikaner in Lager deportiert. In Little Tokyo, dem japanischen Viertel, gibt es ein Projekt, das daran erinnert – ein bisschen wie das Mahnmal „Gleis 17“ am Bahnhof Grunewald ...

... aber?
Es entspricht einfach nicht dem Image. L.A. ist eine Stadt der Gegenwart und der Zukunft, zumindest denkt sie das. Darum wurde bisher wenig in der Vergangenheit gegraben. Nach Berlin kommen die Leute, um Geschichte zu sehen. Nach Hollywood kommen sie, um entdeckt zu werden. Gregs Porträtfotos, die hier auch ausgestellt sind, zeigen Leute, die mal in einem Film mitspielen wollten …

… und manche von ihnen sehen aus, als hätte das nicht geklappt.
L.A. war immer der Ort, seine Träume zu finden. Davon handeln viele Geschichten – auch davon, dass man seine Träume eben nicht findet. Die Freiheit von L.A. ist eine Freiheit der Identität, du kannst sein, wer auch immer du sein willst – der Amerikanische Traum! In der alten Welt war das nie eine Möglichkeit, nie ein Motto. Vielleicht hat es nie gestimmt, vielleicht stimmt es heute weniger als früher – ich glaube, dass es noch da ist.

Die Ausstellung zeigt auch eine Videoinstallation, eine Fahrradtour durch Greg Bannans Viertel, aus seiner Perspektive gefilmt. Dabei radelt der Künstler den – überraschend unspektakulären – Walk of Fame auf dem Hollywood Boulevard entlang.
Wenn Sie Angelinos fragen, ob sie den Walk of Fame kennen, werden ein paar sagen: Ja, ich war mal mit Besuch dort. Wenn Sie aber fragen, ob der Walk sehenswert ist, wird jeder sagen: nein. Es sind nur Namen auf dem Fußweg. Da gibt es nichts zu sehen.

Die Ausstellung "Somewhere in Hollywood" mit Fotografien von Greg Bannan ist noch bis 27. August in der Galerie Imago Fotokunst zu sehen (Linienstraße 145, Mitte. Do–Sa 14–18 Uhr, Eintritt frei).

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