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Kultur: Lust aufs Leibliche

Das Art Forum hat sich zur Messe für Einsteiger und Feinschmecker entwickelt

„Kaufen Sie Kunst!“ Mit diesem Satz beendet der Berliner und Leipziger Galerist Gerd Harry Lybke schon traditionell die Pressekonferenz zum Art Forum. Und obwohl Journalisten nicht zwingend die Adressaten dieser Aufforderung sind, erinnert sie daran, wo wir sind: auf einem Marktplatz. Nirgends sonst treffen künstlerischer und ökonomischer Wert so unmittelbar aufeinander wie auf einer Kunstmesse. Doch Stunden vor der VIPEröffnung wird noch nicht gefeilscht und reserviert, abgewogen und zugeschlagen. Seelenruhig, fast schutzlos ist allein die Kunst zu begutachten. Skulptur, das vermittelt sich schon bei den ersten Schritten, ist das große Thema. Die Berliner Galerie Jan Winkelmann rückt einen fünf Tonnen schweren bronzenen Gitterraum von Plamen Dejanoff ins Zentrum, der die Grenze zur Architektur ebenso auslotet, wie nebenan die acht Meter breite Skulptur von Sabine Hornig bei Barbara Thumm (49 500 Euro).

Minimalistisch wirkt ein Möbelturm von Florian Slotawa aus der Serie der Ikea-Skulpturen bei Sies & Höke aus Düsseldorf. Slotawa behandelt so klassische Bildhauerthemen wie Linie, Volumen und Farbe und gibt dem Ganzen gleichzeitig einen persönlichen Dreh: Sammler von New York bis Schanghai erwerben vom Künstler eine Einkaufsliste für Ikea, die Möbel baut Slotawa anschließend vor Ort zum Turm zusammen (15 000 Euro). Das spart Transportkosten und thematisiert ganz beiläufig die weltweite Ausbreitung und damit verbundene ästhetische Gleichschaltung durch ein Unternehmen. Nebenan, bei Upstream aus Amsterdam, blinken auf einem Turm von Marc Bijl die Neonschriften von Großunternehmen neben Fotos von Paris Hilton, Königin Beatrix und der Kunstmäzenin Francesca von Habsburg. Gerwald Rockenschaub hat für die Galerie Ropac eine begehbare Skulptur als Standkonzept entwickelt. Und Eigen + Art, die Hausgalerie der Leipziger Schule, verzichtet diesmal komplett auf Rauch, Eitel, Weischer & Co und zeigt stattdessen Modelle von Kai Schiemenz, ein Wandrelief von Birgit Brenner und Objekte von Carsten Sievers und Carsten Nicolai.

Ist der Malereiboom tatsächlich vorüber? Haben die Sammler die Nase und Wände voll und konzentrieren sich nun auf den noch verbleibenden freien Platz im Raum? Oder ist es zwangsläufig so, dass nach dem einen Trend der andere kommt? Ganz so einfach ist das nicht. Natürlich spielen auch merkantile Gründe eine Rolle: Skulpturen sind teuer. Und momentan schwappt so viel Geld wie noch nie in den internationalen Kunstmarkt. Kein Wunder also, dass sich in mageren Zeiten eher die Fotografien und Editionen häufen, in fetten Zeiten raumgreifende Objekte angeboten werden. Doch mehr noch scheint die Skulptur einen Nerv zu treffen. Sie ist ein körperlich erlebbares Gegenüber, fordert ihren Betrachter geradezu zur Auseinandersetzung heraus.

Aber man sollte nicht den Fehler begehen, sich durch das Ausrufen des nächsten „Trends“ den Blick zu verstellen. Kunst hat viele Gesichter. Auf dem Art Forum gibt es Beispiele für erstklassige Malerei, etwa bei Johnen das erstaunliche Gemälde des belgischen Künstlers Helmut Stallaerts, auch für Fotografie und Video. Einmal mehr fällt auf, dass sich Galeristen und Künstler gern auf Werke und Themen der Vergangenheit beziehen. Bei Van Horn aus Düsseldorf zeigen Jan Albers und Jens Ulrich Arbeiten, die sich mit ihrer Kindheit in Afrika beschäftigen. Am Stand von Thomas Zander aus Köln gibt es einen 1972 entstandenen, noch nie gezeigten Super-8-Film von Anthony McCall (ab 6000 Euro) und zwei Billboards des englischen Konzeptkünstlers Victor Burgin von 1974 und 1976 (zusammen 45 000 Euro).

Diese politischen Text-Bild-Collagen wirken bis in die Gegenwart und scheinen in den Arbeiten der Deutsch-Amerikanerin Josephine Meckseper am Stand von Elisabeth Dee aus New York ihren Widerhall zu finden (Collagen 2875 Euro, Installation 17750 Euro). Auch der Film bleibt ein weiteres großes Thema, selbst wenn dieser im Kopf des Betrachters entsteht, wie am Stand von Karin Guenther aus Hamburg bei Fotoarbeiten von Jeanne Faust, die – so war zu hören – zu den vier Kandidaten für den Preis der Freunde der Nationalgalerie gehören soll. Letztlich aber gibt die Kunst selbst immer wieder Beispiele dafür, dass sie für Gattungsgrenzen zu groß ist: Die Berlinerin Annette Kelm zeigt ganz malerisch wirkende, scheinbar abstrakte Fotografien. Ihr Geheimnis enthüllen sie erst bei ganz genauer Betrachtung. Die Künstlerin hat mit Pfeil und Bogen auf Zielscheiben geschossen, vor denen ein Blatt Papier angebracht war. Und trifft damit auch die Sammlerherzen. Am Nachmittag waren bereits drei der fünfteiligen Serien verkauft (Aufl. 5, 9500 Euro).

Katrin Wittneven

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