zum Hauptinhalt
Eindringlich. Lynette Yiadom-Boakyes Gemälde „A passion like no other“ von 2012.

© Sammlung Lonti Ebers/Lynette Yiadom-Boakye

Lynette Yiadom-Boakye in Düsseldorf: 70 Porträts – ein rauschhaftes Glücksgefühl

Die britische Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye malt großartige Bilder Schwarzer Menschen. Nun sind sie endlich in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu sehen.

„Fliegen im Verbund mit der Nacht“ – schöner als mit ihrem poetischen Titel lässt sich die Ausstellung von Lynette Yiadom-Boakye in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen kaum beschreiben. Unwillkürlich drängen sich Metaphern auf, um den überwältigenden Eindruck der knapp 70 Porträts in Worte zu fassen. Wie das rauschhafte Glücksgefühl, in die Tiefe des Ozeans oder die Weite eines Romans einzutauchen, bezwingen die Einzelfiguren und Gruppenporträts der englischen Künstlerin durch eine Lebendigkeit, die kein Foto zu erfassen vermag. Die Freiheit des Fliegens und die Dunkelheit der Nacht verbünden sich in den Bildern zum großartigen Ereignis.

Es sind allesamt schwarze Menschen, wie die 1977 in London geborene Künstlerin, die mit großer Lässigkeit und Selbstverständlichkeit in ihrer eigenen Bildwelt zuhause sind, als bräuchten sie gar keine Betrachter. Dunkel ist der bestimmende Grundton, die das Weiß der Augen und Zähne aufblitzen lässt und die Farbe eines roten Morgenrocks oder einer lila Feder zum Leuchten bringt. Die Strahlkraft kontrastiert mit einer zumeist gedeckten Palette, die sich erst bei näherem Hinsehen als reich wie das Spektrum des Regenbogens erweist. So übersichtlich und streng die Kompositionen angelegt sind, so nuanciert ist die Farbigkeit und locker der Pinselduktus der nass in nass mit Ölfarbe und Hasenleim gemalten Bilder.

[K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, bis 13. Februar 2022]

Die Dargestellten tragen so schlichte, zeitgenössische Kleidung wie Jeans und T-Shirt, Anzug und Krawatte, Trikots oder Unterwäsche, dass ein geringeltes Hemd schon einen starken Akzent setzt. Nur wenige, dafür umso bedeutendere Accessoires erzeugen Aufmerksamkeit und Irritation wie die fedrige Halskrause, die in verschiedenen Bildern wiederkehrt. Sie weckt verschiedene Assoziationen, die von Karnevalskostümen über afrikanische Stammeskleidung bis zu den typischen Mühlsteinkragen niederländischer Porträts reichen. Damit wird das Bildergedächtnis von bestimmten Vorstellungen durchkreuzt, so dass abendländische Malerei und Alltagskultur aufeinanderprallen.

Genauso unbestimmt wie die Kleidung sind die Räume oder Landschaften, in denen sich die Menschen aufhalten. Nur selten erscheinen ein schwarzweißer Kachelboden oder ein gestreiftes Sofa als kontrastierende Muster zu den meist diffusen Szenerien, die hintergründig ihr schönstes malerisches Eigenleben entfalten. In den Innenräumen markieren allenfalls ein Fußboden oder Möbelstück die räumliche Situation. In den Außenräumen verschwimmen Horizonte und Meereslandschaften zu atmosphärischen Stimmungsbildern.

Ruhe als Form des Widerstands

So unbestimmt die Kleidung und Aufenthaltsräume der Figuren ausfallen, so bestimmt sind ihre lässigen Posen, Haltungen und Blicke. Sei es das Lagern auf einer Sanddüne am Meer oder dem heimischen Sofa, der direkte oder niedergeschlagene Blick, die übereinander geschlagenen Beine oder die Hände in den Hosentaschen, immer strahlen die Figuren eine entspannte Gelassenheit, Kontemplation oder Geselligkeit aus. Anstelle von (weißer) Repräsentation und Herrschaft vollzieht sich eine unmerkliche Verschiebung zu (schwarzer) Selbstverständlichkeit.

„Sie (die Künstlerin) erklärt Ruhe zu einer Form des Widerstands, Gelassenheit zum sinnstiftenden Akt,“ schreibt die Ausstellungsdirektorin der Tate Britain, Andrea Schlieker im Katalog.

[Alle wichtigen Updates des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]

Unmerklich und ohne Anklage oder Stellungnahme sind die aktuellen Debatten über Rassismus und Gender den Bildern von Yiadom-Boakye eingeschrieben. In ihren Gruppenporträts bleiben die unterschiedlichen Geschlechter meist getrennt voneinander. Sie gehen keine Liebesbeziehungen ein, sondern bezeugen freundschaftliche Zuneigung durch ihre Körpersprache und Blickwechsel. Am nächsten kommen sich Mann und Frau noch im Diptychon, wenn sie jeder für sich ein Buch lesen. Doch gerade in der Distanz wird die Sehnsucht nach Nähe fühlbar, wie sie die amerikanische Dichterin Elisabeth Alexander in Worte fasst: „Die Bodenlosigkeit dieser Bilder gleicht der Bodenlosigkeit der Intimität.“

Die großen Porträtmaler der Geschichte haben Pate gestanden

Zwar bleiben die Geschlechter weitgehend getrennt, doch dafür gesellen sich verschiedene Tiere zu den Figuren, so dass eine metaphorische und magische Ebene hinzukommt. Dieser literarische Aspekt findet sich auch in den Gedichten und Kurzgeschichten der Künstlerin, die von den Fabeln Aesops oder La Fontaines inspiriert, bitterböse oder schwarzhumorige Satiren auf die Gesellschaft liefern. Entsprechend sind auch ihre Bildtitel wie „zusätzliche Pinselstriche“ nicht narrativ, sondern poetisch und stimmungsvoll. Unvergleichlich ist der eindringliche Blick des grün-schwarzen Porträts „A passion like no other“ (2012), während der Blickwechsel der beiden hockenden Männer in „No need of speech“ (2018) keiner Worte bedarf.

Unverkennbar haben die großen Porträtmaler der abendländischen Kunst bei Yiadom-Boakye Pate gestanden, allen voran Goya und Manet, aber auch John Singer Sargent und Walter Sickert. Wir treffen in ihren Bildern auf dieselbe herausfordernde Selbstverständlichkeit wie bei Manets „Olympia“ (1863) oder dieselbe Leuchtkraft wie bei Sargents „Mann im roten Mantel“ (1881), nur dass die Porträtierten allesamt People of Color sind. Ähnlich und doch ganz anders als der US-Künstler Kerry James Marschall besetzt auch die englische Malerin diese Leerstelle im Rekurs auf die abendländische Kunstgeschichte mit Protagonisten ihrer eigenen Hautfarbe.

So gelingt es der 2013 für den Turner Preis nominierten Künstlerin alle gängigen Gegensätze in ihrer Malerei aufzuheben. Was so real wie ein lebensechtes Abbild erscheint, erweist sich als reine Fiktion, was so konkret wie ein menschliches Bildnis erscheint, bildet nur den Anlass reiner Malerei, und was so traditionell wie das Genre des Porträts daherkommt, ist so zeitgenössisch wie eine Momentaufnahme und so universal wie das Menschsein – große Kunst.

Dorothea Zwirner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false