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Lyrik: Hans-Jürgen Heise wird 80

Der Fühldenker: Hans-Jürgen Heise war schon immer der vehemente Verteidiger einer Welt, aus der sich die Sinnlichkeit noch nicht verflüchtigt hat. Zum 80. Geburtstag.

Das Örtchen Fuente Vaqueros, in dem der Lyriker Federico Garcia Lorca 1898 geboren wurde, liegt etwa 15 Kilometer westlich von Granada. Heute befindet sich dort die „Casa Museo Lorca“, in der man neben Gegenständen aus Lorcas Besitz auch das 1968 von Hans-Jürgen Heise verfasste Gedicht „Fuente Vaqueros“ bestaunen kann – als Dauerexponat.

Den Weg, auf dem es in Lorcas Geburtshaus fand, muss man sich ungefähr so vorstellen. Ein 1930 im pommerschen Bublitz, dem heute polnischen Bobolice geborener Mann aus bescheidenen Verhältnissen, liest, was ihm zwischen die Finger kommt. Nach dem Krieg besucht er regelmäßig die Bibliothek des Berliner Amerikahauses. Ein Versuch, beim Tagesspiegel unterzukommen, für den er heute gelegentlich schreibt, schlägt fehl. 1949, da ist er gerade 19, druckt „Die Neue Zeitung“ erstmals ein Gedicht von ihm. Heise wird Volontär in der Redaktion des Ostberliner „Sonntag“. Im Nachkriegsberlin ist er kurze Zeit später einer der jüngsten Feuilletonjournalisten.

Irgendwann im Lauf seiner Lektüren muss er dann mit den Werken des andalusischen Dichters García Lorca Bekanntschaft geschlossen haben – wie er im deutschen Sprachraum auch immer ein wichtiger Anwalt für andere Schlüsselfiguren der spanischen Moderne wie Rafael Albert wurde. Das Interesse war erwacht, lange bevor er selbst seinen Fuß auf spanischen Boden setzte und, zusammen mit seiner zweiten Frau, der Dichterin Annemarie Zornack, Fuente Vaqueros, Granada und die Gebirgsdörfer Viznar und Alfacar besuchen konnte. 1968 war das, damals ist auch das erwähnte Gedicht entstanden.

Es ist darin die Rede von Schienen, die „im Sand“ enden, von den typischen „Ziegenherden in den Straßen“ – und dann nimmt noch das süße „Nichts“ der Vega von Granada eine ganze Zeile dieses elfzeiligen Gedichts in Anspruch. Gegen Ende hört der Leser „nur das Geräusch / einer auf- und zu- / schnappenden Schere“, dann ist’s, als würden wie in den Arabesken von García Lorcas „Zigeunerromanzen“, alle Messer der Poesie zugleich gewetzt.

Hans-Jürgen Heise, der am heutigen Dienstag in seiner langjährigen Heimatstadt Kiel seinen 80. Geburtstag feiert, hat sich nie damit zufrieden gegeben, nur das eigene Werk voranzutreiben. Neben Gedichtbänden stehen Bände mit erzählender Prosa und poetischen Kurztexten. Außerdem autobiografische Texte, Reisebücher und Essaysamlungen, die so schöne Titel tragen wie „Ariels Einbürgerung im Land der Schwerkraft“ oder „Wenn das Blech als Trompete aufwacht“.

Heise porträtiert darin Dichter, Maler und Musiker, denen er sich nahe fühlt: immer wieder Lorca, aber auch Paul Celan, Arthur Rimbaud oder die Amerikanerin Emily Dickinson. Vom Übersetzer Hans-Jürgen Heise ist soeben eine schöne zweisprachige Auswahl mit bisher kaum ins Deutsche übersetzten Gedichten von Federico Garcia Lorca erschienen ist („Das Lied will Licht sein / El canto quiere ser luz“). Neben dem geliebten Süden, der in seinem Schaffen immer wieder auftaucht, hat er auch die Amerikaner T. S. Eliot oder Archibald MacLeish übersetzt .

In seinen eigenen Gedichten spielen vor allem Ironie und kunstvolle Beiläufigkeit eine Rolle. Manche Texte muten wie Tagesmitschriften an; Aufzeichnungen von lakonischer Kürze, wie auf Zigarettenpapier notiert. Andere wieder loten die eigene Biografie aus, graben in einer Vergangenheit, die, verwandelt und mit der Energie des Gedichts aufgeladen, dann mehr ist als nur Erinnerung. Mitunter überspringt Heise bereits im Buchtitel Jahrhunderte, etwa, wenn dem Leser „Ein Fax von Bashô“ versprochen wird oder, wie in seinem neuestem Band, man es mit „Brieftauben im Internet“ zu tun bekommt.

Hans-Jürgen Heise war schon immer der vehemente Verteidiger einer Welt, aus der sich die Sinnlichkeit noch nicht verflüchtigt hat. Der Farbe „Gelb“ hat er einen Vierzeiler gewidmet, in dem sich Empfindung und Gedanke bravourös verbinden: „Die Quitte schmeckt / dem Ohr / besser / als dem Mund.“ Mit dem Lob auf unsere Sinne einher geht bei Heise aber auch die Kritik an ungebremstem Fortschritt und der „virtuellen Welt“. Dann scheut Heise auch den satirischen Ton nicht: Im Gedicht „Fast zeitgleich“ lässt er Einstein „vor Schreck“ Dürers „Betende Hände“ imitieren, loggt Bill Gates „sich bei sich selbst ein“ und nur die Tante Alma, allem Unheil zum Trotz, züchtet noch schnell „eine himmlisch schöne Rosenart“, bevor alles in einem Schwarzen Loch verschwindet. Keine Frage: Im Zweifel, steht der „Fühldenker Heise“, wie er einmal genannt wurde, entschieden auf Tante Almas Seite.

Zuletzt erschienen im Verlag Ralf Liebe, Weilerswist: Luftwurzeln. Ausgewählte Gedichte aus sechs Jahrzehnten. 240 Seiten, 20 €. – Ein Sommertag extra. Achtzig Short Cuts. 118 Seiten, 15,45 €. – Federico Garcia Lorca: El canto quiere ser luz / Das Lied will Licht sein. Gedichte zweisprachig. 184 Seiten, 20 €. Außerdem: Brieftauben im Internet. Neue Gedichte. 40 Seiten, 6,90. Verlag im Proberaum, Klingenberg.

Volker Sielaff

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