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Kultur: Macht und Nebel

Zum Abschied ein Intendant. Und eine Intrige: Kultursenator Thomas Flierl holt Thomas Oberender ans Deutsche Theater

Es ist Flierls letzter Coup. Und die Sache könnte gründlich schief gehen, wie so manches, was Berlins scheidender Kultursenator mit dem Deutschen Theater angestellt hat.

Nun soll Thomas Oberender Intendant am DT werden. Berlins brodelnde Kulturpolitik ist damit, nach der Demission des Opernstiftungsdirektors Michael Schindhelm, um eine wilde Eruption reicher. Beschädigt sind Personen wie Institutionen.

Derzeit gehört Oberender, Jahrgang 1966, noch der Zürcher Theaterleitung unter Matthias Hartmann an. Er hat zudem einen Vertrag bei den Salzburger Festspielen, wo er ab 2007 als Leiter der Schauspielsparte vorgesehen ist, bis zum Jahr 2011. Am Montagabend um Fünf haben Thomas Oberender und Thomas Flierl einen Vorvertrag über die Intendanz am Deutschen Theater unterschrieben, was die bei Winkelzügen der Flierl’schen Verwaltung gewöhnlich gut unterrichtete „Berliner Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom Dienstag berichtet.

Eine brenzlige Situation, die viele Fragen aufwirft. Noch herrscht ein Vakuum. Denn erst morgen übernimmt der neue Senat offiziell die Amtsgeschäfte, mit einem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der künftig auch für die Kultur verantwortlich ist. Oberender, vom Bekanntwerden der Geheimoperation überrascht, sagt, Wowereit sei in die Aktion der Montagsmaler eingeweiht gewesen. Aber da sind Zweifel angebracht.

Im Juni trafen sich Wowereit, Flierl und Oberender zu einem Gespräch im Rathaus. Man wollte man sich, dann ohne Flierl, zum Thema Deutsches Theater „nach der Wahl“ äußern. Was bei einem halbwegs ordentlichen Geschäftsgebaren jedoch nur heißen kann: nach der Inthronisierung des neuen Senats, nicht vorher. Außerdem ist die Vereinbarung mit Oberender bislang nur „paraphiert“. Eingehende Verhandlungen über die künftige Ausrichtung des Deutschen Theaters haben noch nicht stattgefunden. Eine Erklärung für die Personalie Oberender zum jetzigen Zeitpunkt: Flierl wollte noch ein Erfolgserlebnis und sich bei Wowereit, der ihn aus dem Amt gedrängt hat, revanchieren.

So oder so: Thomas Oberender, ein ruhiger, seriöser Theatermann, von Hause aus Dramaturg und Dramatiker, hat jetzt ein Problem. Die Schauspieler und Regisseure des Deutschen Theaters erfahren durch die Hintertür, wer möglicherweise ihr neuer Intendant wird. Es gibt außerdem einen zeitlichen Widerspruch. Dem Vernehmen nach könnte Flimm seinen (künftigen) Schauspielchef Oberender vorfristig freigeben, ab 2009. Bernd Wilms jedoch, der zuletzt so erfolgreiche DT-Intendant, hört, wie er unmissverständlich erklärt, „definitiv 2008“ auf. Wilms fand gestern einen Brief in seiner Post, Absender: Thomas Flierl. Darin teilt der Kultursenator Wilms mit, dass er soeben einen Vorvertrag mit Thomas Oberender geschlossen habe. Flierl ergeht sich in dem Schreiben in gewundenen Komplimenten für Wilms und seine Arbeit – offenbar in der Absicht, Wilms zu einem Jahr des Weitermachens als Interimsintendant bis 2009 zu bewegen. Bernd Wilms sagte gestern, er könne sich nicht vorstellen, dass Wowereit und sein Kulturstaatssekretär André Schmitz die von Flierl vorbereitete Intendantenlösung mit Oberender akzeptieren.

Man fühlt sich in den Herbst 2004 zurückgeworfen. Damals wollte Flierl, mit Wilms unzufrieden, den Schriftsteller Christoph Hein zum DT-Intendanten machen. Hein zog sich alsbald zurück, auch weil Flierl ihn nicht genügend Rückendeckung gab. Es folgte die Einsetzung einer Findungskommission. Diese empfahl, dass Wilms im Amt bleiben soll. Und sprach sich zugleich für Thomas Oberender aus – für einen Mann der Zukunft. Auch damals legte der Senator eine seltsame Hektik an den Tag. Und jetzt wieder: Warum vollendete Tatsachen schaffen? Warum konnten, wenn es auch Wowereit wirklich ernst ist, nicht nächste Woche reguläre Verhandlungen mit Oberender aufgenommen werden?

Oberender verweist jetzt auf die Leistung von Wilms und dem DT- Ensemble. Hausregisseure wie Jürgen Gosch, Dimiter Gotscheff, Barbara Frey liegen auf seiner Linie. Er will Kontinuität wahren. Ein Name aber kommt bei Oberender nicht vor: Michael Thalheimer. Der ist dank überragender Inszenierungen wie „Emilia Galotti“, „Faust“ (und zuletzt der „Orestie“) in die Künstlerische Leitung des Deutschen Theaters aufgestiegen. Es spricht vieles dafür, dass Thalheimer dem Haus erhalten bleiben möchte – mit seinen Schauspielern und in exponierter Stellung. Thalheimer gehört zu den Erfolgsgaranten des Deutschen Theaters. Auf seine Regiesetzungen, seine Klassikerlesarten zu verzichten, wäre töricht.

Hier werden ohne Not Frontlinien aufgerissen. Oberender oder Thalheimer – eine schlechte Alternative. Ein Hauptstadttheater, das seinen Namen verdient, braucht viele Handschriften. Ob Thalheimer zum Intendanten taugt, ist eine andere Frage. Bernd Wilms hat vorgemacht, was ein Chef in der Schumannstraße leisten muss: unterschiedlichste Ästhetiken und Theaterentwürfe nicht nur auszuhalten, sondern auch zu fördern.

Mit Flierls Vorpreschen wächst wieder der alte Spaltpilz. Wowereits Rolle in dem absurden Spiel wird sich alsbald klären – wenn er offiziell als Regierender Kulturmeister auftreten kann. Dass Oberender die Chance ergriffen hat, nachdem er schon einmal so nah dran gewesen war am Deutschen Theater, kann man zwar verstehen. Aber er agiert mit hohem Risiko. Ein Vorvertrag in einer interimistischen Situation, das wirkt nicht souverän. Und Flierl riskiert Oberenders Opferung.

Das Deutsche Theater hat die Spielzeit 2006/07 unter das Motto „Anfänge“ gestellt. Damit ist nicht die Berliner Kulturpolitik gemeint, vielmehr die antike Theatertradition, die Klassiker. Es hat sich stabilisiert, die Zuschauer strömen, es ist nicht mehr dasselbe Haus, das Flierl einst glaubte retten zu müssen. Aber bis zum letzen Moment versuchen die alten Aktionisten, eigene Theatergeschichte zu schreiben. Es ist wie in den Shakepeare’schen Königsdramen. Die Intrige blüht. Jeder verdächtigt jeden, den Namen des anderen in der Öffentlichkeit verbrennen zu wollen. Flierl aber ist gebranntes Kind.

Rüdiger Schaper

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