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Kultur: Märchen-Mädchen

Stummfilm-Schneewittchen: „Blancanieves“.

Schön, da sind die Bildrahmen mit ihren abgerundeten Kanten und die Zwischentitel, aber erst mal ist alles verblüffend gegenwärtig. Für einen Stummfilm, der die große Zeit jenes Genres zitiert, agieren die Schauspieler nicht überdeutlich genug, und auch sonst schreitet die Sache gemächlich voran. Ein Schwarzweißfilm eben, nur dass die Leute nicht reden.

Es dauert eine Weile, bis „Blancanieves“ in jenes Jahrmarktsmilieu eintaucht, in dem die Filmgeschichte überhaupt begann: Das spanische Schneewittchen gesellt sich zu den „Enanitos Toreros“, den sieben Stierkampfzwergen. Und die wandern von Dorfplatz zu Dorfplatz, bis sie mitsamt ihrer jungen Toreadora in jene Arena einziehen, in der die Matadorenlaufbahn ihres Vaters einst ihr tragisches Ende fand.

Dann hat das was: Der Rummel passt. Und sogar die Jahrmarktsschreier sind für eine Vierundzwanzigstelsekunde stumm vor Staunen. Weiß wie Schnee das Licht über der Arena, schwarz wie Ebenholz die böse Stiefmutterseele, und rot wie Blut darf man sich den vergifteten Apfel vorstellen, der auch Blancanieves das Leben kostet. Doch weil wir in einem heutigen Stummfilm sind und nicht in Grimms Märchen, bleibt der Apfel schwarz-weiß, und gibt es fast kein Happy End. Stattdessen eine Jahrmarktsattraktion, wie sie schöner und trauriger auch die frühen Altmeister des Kinos nicht hätten erfinden können.

Regisseur Pablo Berger hat sein Retroherzensprojekt, dem freilich „The Artist“ mächtig zuvorkam, sorgfältig angerichtet – sein für den Europäischen Filmpreis nominiertes Werk wurde in Spanien schon heftig gefeiert. Vom Märchen nahm er sich, was ihm passte, den Stummfilm zitiert er munter von Abel Gance bis Carl Theodor Dreyer, und den Rest besorgt die Corrida-Folklore. Maribel Verdú spielt sehr gut die sehr Böse, ebenso – bis zu ihrem frühen dienstlichen Verscheiden – Angela Molina die liebe Oma, und Macarena García ist als Märchen-Mädchen allerliebst anzuschauen.

Über die Lust am Virtuosen aber will der Film nicht eigentlich hinaus. Der Zirkus des Kinos ist weitergezogen, und eines Tages waren da Giulietta Masinas „La strada“-Stummfilmaugen und alle Märchen vorbei. Fellinis Zirkusnummer setzt mühelos da an, wo „Blancanieves“ sich hinkämpft und dann nicht mehr so recht weiterweiß. Wie schön, Giulietta Masina hat sich in diesen Text gezaubert, schlägt die Augen auf, und alles ist wunderbar still. Jan Schulz-Ojala

Cinemaxx, Filmkunst 66, International; OmU im Central und Rollberg

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