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Ausstellungskritik: Malen nach Noten

Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste ergründet den Einfluss der bildenden Kunst auf den Komponisten John Cage.

An der Legende hat er selbst gestrickt. Noch als Student, so erzählt Cage, versprach er seinem damaligen Lehrer, Arnold Schönberg, sein ganzes Leben der Musik zu widmen. John Cage wurde einer der einflussreichsten Komponisten und Performancekünstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Daran, dass er immer aber auch bildender Künstler war, ändert obige Anekdote nichts: Seine Notationen gleichen grafischen Arbeiten an der Grenze zwischen Spielbarkeit und Kunst, seine Konzerte waren Performances. Cage nahm an der Documenta 8 in Kassel teil und die Maler Mark Tobey, Morris Graves und Robert Rauschenberg waren seine beste Freunde.

Außerdem gibt es da noch einen Brief: 1935 schreibt Cage an den expressionistischen Maler Alexej von Jawlensky (es ist dasselbe Jahr, in dem er seinen Schwur gegenüber Schönberg leistet): „Ich kann nicht Deutsch schreiben oder sprechen, aber ich bin sehr freudig, weil ich habe eines Ihnen Bilder gekauft: Jetzt ist es in mir. Sie sind mein Lehrer.“ Kurz zuvor war Cage in den Besitz von Jawlenskys kleinem Ölbild „Meditation“ gekommen, den Freundschaftspreis von 25 Dollar stotterte er ab. Bildende Kunst oder Musik? Es steht Aussage gegen Aussage. Cages malerisches Frühwerk ist verschollen. Muss dieser Brief, von dem in der Forschung noch nicht oft die Rede war, ein Anstoß für die Kunstgeschichte sein, John Cage noch einmal unter neuem Licht zu betrachten? Die Ausstellung „John Cage und ...“ in der Akademie der Künste beginnt jedenfalls damit. Sie präsentiert Cage im Rahmen des umfangreichen Jubiläumsprogramms zu seinem 100. Geburtstag als bildenden Künstler und bettet ihn in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ein.

Kurator Wulf Herzogenrath, bis vor kurzem Direktor der Kunsthalle Bremen und früherer Hauptkustos der Berliner Nationalgalerie, hat Papierarbeiten, klangkünstlerische Werke, Installationen, Notationen, Foto- und Filmdokumente zusammengestellt. Einen besonderen Schwerpunkt legt er auf die europäische klassische Moderne, auf Marcel Duchamp und seinen radikalen Ansatz Alltagsgegenstände ins Museum zu holen, auf Dada und Bauhaus.

Cage war fasziniert vom interdisziplinären Ansatz der Bauhaus-Schule. László Moholy-Nagy und das Künstlerpaar Josef und Anni Albers standen ihm nahe. Von Anni bekam er 1950 einen Bildteppich geschenkt, den er bis zu seinem Tod behielt. Wo er sich heute befindet, ist nicht mehr auszumachen, der Nachlass wurde bei Christie’s versteigert. Doch finden sich in der Ausstellung ähnliche Exemplare, die deutlich machen, was Cage daran gereizt haben muss: In den Teppich aus regelmäßigen Strukturen schleichen sich Unregelmäßigkeiten ein.

Robert Rauschenberg inspirierte Cage mit seinen schwarzen oder weißen Bildflächen zu dem berühmten Werk „4’33“: Ein Musiker sitzt vier Minuten und 33 Sekunden tatenlos am Klavier und präsentiert die Stille – die es nicht gibt. Immer ruckelt jemand auf dem Stuhl oder atmet geräuschvoll.

Einen Abstecher macht die Schau zur Fluxus-Bewegung, zu Nam June Paik und Joseph Beuys, und reicht dann weiter bis in die Gegenwart: Von Gerhard Richter hängen vier „Cage Grid“-Drucke an der Wand. Die Pendants in Öl sind zurzeit in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Richter hat zu Musik von Cage gemalt und den Zufall über seine gekratzten und gewischten Bilder entscheiden lassen. Zufall ist auch eines der bestimmenden Themen im Schaffen des 1992 verstorbenen Cage, genauso wie es Stille, Leere und der Betrachter sind, der das Kunstwerk erst dazu macht. All das wird ebenso reichhaltig wie kompakt in der Schau präsentiert, und wer sich näher mit dem Thema beschäftigen will, sollte das Begleitheftchen lesen, das man an der Kasse zum Ticket dazubekommt. Außerdem ist ein umfangreicher Katalog erschienen. Die Schau selbst setzt auf sinnlich-ästhetische Zusammenhänge. Immer wieder schmuggelt sich eine Cage-Zeichnung zwischen die Werke anderer Künstler, und es ist kaum auszumachen, wer von wem inspiriert wurde. Das aufzudröseln ist auch nicht das Ziel. Es geht darum, ein dichtes Netz an Beziehungen und Impulsen zu flechten. Am eindrücklichsten gelingt das an jener Wand, an der mehrere Grafiken von Anni und Josef Albers, Paul Klee und John Cage hängen. Sie alle zeigen Knoten- und Schnurgewirre. Doch welches stammt von wem? Anna Pataczek

Akademie d. Künste, Hanseatenweg 10, bis 17.6., Di–So 11–20 Uhr, Katalog 24,95 €.

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