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Kultur: Man beginne mit einem Erdbeben!

KLASSIK

Die Nachricht, dass ein Dirigent kurzfristig seine Konzerte absagen musste, und ein unbekannter Einspringer zum Einsatz kommt, hat auf das Konzertpublikum die gleiche Auswirkung wie das vorzeitige Öffnen der Ofentür auf’s Soufflé. Zusammen gesunken harrt es im Gestühl auf den Auftritt des Fremden. Anstelle von Yakov Kreizberg, den zahlreiche Sympathisanten aus vergangenen Cheftagen an der Komischen Oper nun mit dem Deutschen Symphonie-Orchester im Konzerthaus erleben wollten, schritt der junge estnische Dirigent Olari Elts ans Pult. Und bereits diese wenigen Meter machten neugierig auf den 32-jährigen Chef des Lettischen Staatsorchesters. Mit seinem spack sitzenden schwarzen Anzug und der bis auf die Nasenspitze abgerutschten Brille strahlt Elts eine durch betonte Biederkeit nur mühevoll gebändigte Besessenheit aus. In Abwandlung des Programms eröffnete er den Abend mit der Komposition „Exodus“ seines Landsmanns Erkki-Sven Tüür. „Von Zeit zu Zeit wären wir lieber an einem anderen Ort, sehnen wir uns nach einer neuen und besseren Welt“, erläutert der Tonsetzer seine Motive, die er beherzt mit Billy Wilders Anweisung für ein gutes Drehbuch verbindet: Beginne mit einem Erdbeben – und steigere dich langsam. Hart reißt Elts die Polarität zwischen chaotischem Weltwalten und kristalliner Transzendenz auf. Distanziert geleitet er Cristina Ortiz durch Mendelssohns erstes Klavierkonzert, um schließlich einen Mahler zu dirigieren, dem ein Schwelgen in Naturidyllen nicht mehr möglich ist. Frei von Dunst und brütender Schwüle entwickelt die erste Sinfonie des Komponisten ihre gewaltige Kraft in Klarheit, ohne ausgestellte Ironiebekundungen und Brüchigkeitsdemonstrationen. Ein Triumph der Musik, Jubel für Olari Elts und das DSO.

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