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Kultur: „Man sollte sich beim Reisen nackt machen!“

Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow, der heute mit dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet wird

Herr Trojanow, Sie haben lange in Bombay gelebt, dann in Kapstadt. Zuletzt überlegten Sie, nach Istanbul oder Marokko zu ziehen. Wo leben Sie gerade?

In Mainz. Da bin ich Stadtschreiber. Die Entscheidung hat sich um ein Jahr verschoben. Ich tendiere zu Wien. Es wäre nicht schlecht, im deutschsprachigen Raum zu leben und gleichzeitig am Rand zu sein. So einen Ort suche ich, einen Ruheort.

Das nomadische Leben ist vorbei?

Das Sesshaftwerden interessiert mich vor allem wegen meiner Bibliothek. Meine Bücher sind überall verstreut, in Kapstadt, im Keller meiner Mutter, bei Freunden in München. Manchmal will ich was nachschlagen und weiß nicht einmal, wo sich das Buch befindet. Das gibt mir ein Gefühl von Verunsicherung. Das Nomadische stimmt bei mir so nicht. Jemand, der Bücher kauft, ist kein Nomade.

Ihr Roman „Der Weltensammler“ über den Abenteurer Richard Burton hat sich 100 000 Mal verkauft. Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Das Buch hat einen existenziellen Nerv getroffen. Die Art der Reaktion ist sehr persönlich. Man applaudiert nicht der literarischen Leistung, sondern sagt: Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Viele Leute verspüren ein Unbehagen an der gegenwärtigen Tendenz, kulturelle Differenz als etwas darzustellen, was es zu überwinden gilt. Dabei ist sie ein beglückendes, inspirierendes Angebot an Offenheit und Vielfalt. Außerdem ist kulturelle Differenz der Naturzustand. Die Kulturentwicklung ist eine ewige Hybridisierung.

Was heißt das?

Das heißt, dass kulturelle Elemente, die sich unterscheiden, immer wieder zusammenkommen und sich vermischen. So entsteht Kultur. Was wir als Tradition bezeichnen, ist eine vergessene Hybridisierung. Wir vergessen auch oft, dass die Leute, die uns kanonisch erscheinen, nicht aus dem Zentrum kamen, sondern von den Randgebieten. Kafka, Celan, Canetti. Doch in bestimmen Momenten wird das Selbstverständliche zum Problem, weil eine bestimmte politische oder religiöse Ideologie das zuspitzt. Es gibt Kräfte der Fanatisierung, die diese Vielheit angreifen, weil sie ihre Kontrolle gefährdet. Wenn jemand heute hysterisch reagiert, weil eine Frau ein Kopftuch trägt, muss man fragen: Was bedroht das Kopftuch eigentlich? Inwieweit ist die Reaktion der Provokation angemessen?

Gibt es auch heute Orte, an denen Sie Ihre Vorstellung der offenen Gesellschaft verwirklicht sehen?

Das Leben in London ist unendlich offen. Deshalb waren die Bombenanschläge dort so schmerzhaft. Sie haben sozusagen den idealen Ort getroffen.

Sie haben von Hysterisierung gesprochen. Seit wann nehmen Sie die wahr?

In den neunziger Jahren war klar zu spüren, dass neue Feinde gesucht und aufgebaut wurden, und es gab einschneidende Ereignisse wie den Bürgerkrieg in Jugoslawien, die den Mythos einer heilen Welt nach dem Fall der Mauer zerstört haben. Nur bei uns hielt sich lange der illusionäre Glaube, die Probleme seien gelöst. Umso heftiger und hysterischer war die Reaktion auf neue Konfliktherde. Es gibt im Moment drei Bestseller, die vor einer Islamisierung Deutschlands warnen. Da kann ich nur lachen. Wo denn, bitte? Es gibt nicht einen Moslem, der hier etwas zu sagen hat. Weder im Beamtenapparat noch in der Industrie oder beim Militär. Es kann nicht sein, dass die Leute wirklich glauben, dass Deutschland vor den Islamisten in die Knie geht. Das ist nur ein Reflex. Die USA sieht das so, und wir als Verbündete dackeln hinterher. Auch bei der Zweisprachigkeit werden die Leute manipuliert.

Meine Erfahrung ist, dass – wie zum Beispiel in Kreuzberg – die Zweisprachigkeit Normalität ist und Kitas und Schulen darauf reagieren.

In der „F.A.S.“ haben sie gerade einem Professor einer provinziellen Universität eine halbe Seite freigeräumt, auf der er behauptet hat, dass Zweisprachigkeit bei Kindern zu keinen besseren Berufs- und Lebenschancen führt. Nur hat der keine eigenen Studien gemacht, sondern die von anderen analysiert. Extrem unseriös! Das ist reiner Chauvinismus. Ich sage: Jeder muss zweisprachig sein. Zweisprachigkeit ist ein Geschenk. Kinder haben damit kein Problem. Schon Vierjährige beherrschen beide Sprachen perfekt. Das muss unser Ziel sein. In afrikanischen Ländern oder in Teilen Indiens ist es normal, dass Menschen sogar fünf, sechs Sprachen sprechen.

Sie wurden in Bulgarien geboren, kamen mit sieben nach Deutschland, zogen dann aber mit ihren Eltern nach Kenia. Sie sind mehrsprachig aufgewachsen.

Drei- oder viersprachig. In Kenia war ich erst auf einer englischen Schule, dann auf einer deutschen. Zu Hause haben wir bulgarisch gesprochen. Kisuaheli habe ich auch gelernt.

Wie wurde Deutsch Ihre Schreibsprache?

Das war eine bewusste Entscheidung. Deutsch hat für mich eine größere Flexibilität als Englisch. Es ist prall, sinnlich, mystisch, anderseits trocken und genau.

Die ersten Texte haben Sie auf Deutsch geschrieben?

Nein, in beiden Sprachen. Ich schreibe immer noch Gedichte auf Englisch.

Der Berliner Literaturpreis ist an ein Schreib-Seminar an der FU gekoppelt. Werden Sie bei Ihrer Antrittsvorlesung übers Reisen sprechen?

Nein. Ich werde wohl über das Recherchieren sprechen. Seit zwanzig Jahren gibt es den Vorwurf, die deutschsprachige Literatur sei blutleer. Ein Grund dafür ist, dass die Recherche als poetologische Kategorie nicht wahrgenommen oder sie unterschätzt wird. Große Literatur entsteht bei vielen Autoren aus einer sehr genauen Kenntnis. Das ist ein wichtiges Thema.

Was sollte man auf Reisen auf keinen Fall mitnehmen?

Gepäck. Freunde. Urteile. Man sollte sich nackt machen, damit was passiert.

Das Gespräch führte Andreas Schäfer.

ZUR PERSON

LEBEN

1965 in Sofia geboren, floh Ilija Trojanow mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielten. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Trojanow studierte in München Rechtswissenschaft und Ethnologie. 1989 gründete er den Kyrill & Method Verlag, 1992 den Marino Verlag.

WERK

Der Durchbruch gelang Trojanow mit dem Roman „Der Weltensammler“ (Hanser Verlag), für den er 2006 auch den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Wichtige Veröffentlichungen: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“, „An den inneren Ufern des Ganges“, „Zu den heiligen Quellen des Islam“. Heute erhält er den mit 30 000 Euro dotierten Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung. Im Sommersemester 2007 wird er an der Freien Universität Berlin die Heiner-Müller-Gastprofessur übernehmen.

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