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Kultur: Manchmal geht eben was daneben

ORCHESTERMUSIK

Der Traum vom Klassik-Tempel Philharmonie zerplatzt für das Orchestre du Capitol de Toulouse recht schnell: Der freundliche Beifall, der zwischen den Sätzen von Brahms’ zweitem Klavierkonzert und Debussys „La mer“ aufbrandet, entlarvt die Illusion von den sachkundigen Hauptstädtern. Doch das ist nun einmal der Preis, wenn man Ravels „Bolero“ aufs Programm setzt und ein Publikum anlockt, das mit dem Benimmkanon des Konzertsaals nicht vertraut ist. Eigentlich eine gute Gelegenheit, eben diesem Publikum auch die komplexeren Werke von Debussy und Brahms nahe zu bringen – die aber von Michel Plasson weitgehend verschenkt wurde. 35 Jahre steht der französische Spitzendirigent inzwischen an der Spitze seines Orchesters, und offenbar hat die mehr oder weniger kompetent ausgeführte Routine inzwischen die Neugier und den Spaß am gemeinsamen Musizieren ersetzt. „La mer“, das Paradestück für jedes französische Orchester, ist mit matten Streichern und stur geradeaus spielenden Holzbläsern ein reichlich abgestandenes Gewässer, die frischen Brisen von Mittelmeer und Atlantik haben es offenbar nicht bis Toulouse geschafft. Dass die Musiker Brahms nur auf Provinzniveau spielen können, wundert wenig. Unter diesen Umständen macht auch ein Solist wie Nelson Freire, der eigentlich Pranke und Klangsinn für das zweite Klavierkonzert besitzt, bloß Dienst nach Vorschrift. Und der Bolero? Von dem Spannungsverhältnis zwischen melodischer Heißblütigkeit und unnachgiebigem Rhythmus, der das Stück erst interessant macht, ist in Plassons zahmer Gangart wenig zu spüren. Immerhin geht nichts daneben. Oder alles – ganz wie man’s nimmt.

Jörg Königsdorf

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