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Mannheimer Mozartsommer

© Nationaltheater

Mannheimer Mozartsommer: Politik ist Show

Günter Krämer hat „Lucio Silla“ beim Mannheimer Mozartsommer aktualisiert. So spannend und lustvoll wie in Schwetzingen war Mozarts Jugendwerk lange nicht zu hören noch zu sehen.

Anders als seine Geburtsstadt Salzburg müsste sich Mannheim nicht unbedingt in einer vermeintlichen Wiedergutmachungspflicht gegenüber dem zu Lebzeiten verkannten und missachteten Genie Mozart sehen. Der lernte hier nämlich nicht nur die Schwestern Weber und damit seine spätere Frau Constanze kennen, sondern empfing von der Mannheimer Komponistenschule und der damals europaweit gerühmten Hofkapelle wichtige Impulse für seine stilistische Entwicklung. So waren es mehr die gelassene Affinität des Mannheimer Ex-GMD Adam Fischer und ein Gespür für historisch-regional belegbares Theatermarketing, die erst zur Mozartwoche und neuerlich zum Mannheimer Mozartsommer führten.

Den wird es künftig im Wechsel mit den Internationalen Schillertagen des Nationaltheaters geben. Mit einer inhaltlichen Konzentration auf das Frühwerk. Im nahen Schwetzinger Rokokotheater lassen sich jetzt Adam Fischer und das Mannheimer Orchester vom Genius Loci zu einem historisch geschulten Furor inspirieren, der Mozarts 1772 unter ziemlichem Zeitdruck für Mailand komponierte Opera Seria „Lucio Silla“ nicht als Schaustück eines 16-jährigen Junggenies vorführt, sondern sie als dramatischen Prolog eines Gesamtwerks mit eigener souveräner Substanz ernst nimmt.

Dass sich Regisseur Günter Krämer dabei so lustvoll auf den komödiantischen Gehalt der Musik und sein Bühnenbildner Jürgen Bäckmann auf die Möglichkeiten der Schwetzinger Bühne einlassen, wird zum theatralischen Glücksfall, weil sie obendrein ein Sängerensemble zur Verfügung haben, das durchweg mit schauspielerischen Gaben gesegnet ist. So kann sich die Haupt- und Staatsaktion aus dem von Intrigen und Machtkämpfen geschüttelten antiken Rom zu einem subtilen Kammerspiel über die Folgen von Machtstreben für die Psyche des Einzelnen weiten. Bei Krämer natürlich als modernes Lehrstück über Politik, ihre Regeln und Folgen.

Er fügt dem Personaltableau von Giovanni de Gamerra den ermordeten Vorgänger Lucio Sillas, Marius, als Sprechrolle hinzu, lässt ihn anfangs vor dem heute üblichen Wald aus Mikrofonen mit großer, an Duce und Berlusconi geschulter rhetorischer Geste zu seinen Römern und Freunden davon faseln, dass er jetzt ihresgleichen sein will. Bis der tödliche Schuss des Attentates fällt, der ihn niederstreckt und das politische Rache-Räderwerk in Gang setzt, das die Beteiligten zumindest psychisch fast ruiniert.

Diese Standardrede wird noch mehrmals gehalten. Silla greift nämlich bei der erzwungenen Heirat mit der Tochter seines ermordeten Vorgängers Giunia darauf zurück. Und ganz am Ende kann man diese Worte auch von Cinnas Lippen ablesen, wenn er nach dem fadenscheinigen Happy End hinter Sillas Rücken seinen eigenen Machtambitionen freien Lauf lässt.

Was immer Mozart hier an Konvention und Zeitgeschmack auch mit bedienen mag, die Da-capo-Arien und das obligate lieto fine, das entgegen aller Disposition der Figuren und ihrer ausgefochtenen Kämpfe bei höfischen Auftragswerken 1772 unumgänglich war, werden bei Krämer jedenfalls nicht zum szenischen Problem. Im Gegenteil. Hier wird jede Wiederholung des Gesungenen zur Vorlage für ein feines, kleines, manchmal auch voll aufgedrehtes Dramolett des subtilen Verdeutlichens, Hinterfragens und Konterkarierens. Mit ihrem gekonnten Ausspielen des Ironisch-Grotesken in der hochtragischen Haupt- und Staatsaktion legen Krämer und seine Akteure das Publikum stets an die kurze Leine einer komödiantischen Fallhöhe mit sozusagen umgekehrten Vorzeichen.

Wenn im letzten Drittel die Opponenten gegen Sillas politische und persönlich psychologische Tyrannei schon mit der Schlinge um den Hals unterm Galgen stehen, ist zwar Schluss mit Lustig, aber nicht mit der bitter enthüllenden Ironie, die alle Politik als Show entlarvt. Selbst die Güte des Herrschers, der Todesurteile zu Heiratsbefehlen umwandelt, ist hier Ausdruck von persönlicher Willkür.

Silla hat seinen Spaß am Experimentieren mit Menschen. Schon sein erster Auftritt wird zum Coup, wenn er mit dem Cäsarenlorbeer in der Faust einen schwarzen Papiervorhang durchtrennt, um wie ein Caligula aus der Rocky Horror Show (Kostüme: Falk Bauer) aufzukreuzen. Bei dem erstklassigen Sänger und Mimen Lothar Odinius ist das ein Triumph der Lust am Bösen. Ebenso grandios der Sopranist Jacek Laszczkowski, der hinter seinem uniformierten Cinna einen Stippenzieher mit Hang zur Flasche und zur gekonnten Intrige verbirgt – und immer mal auch rauslässt. Oder Cornelia Ptassek als bestechend klare Giunia und Marie-Belle Sandis, die als Tyrannenwiderständler Cecilio die Last des drangsalierten positiven Helden mit kraftvollen Piani in höchster Qualität beglaubigt. Oder auch Ana Maria Labin, die als Celia zum Dank für ihren Einsatz auf der Seite der Bedrängten am Ende den von ihr begehrten Cinna bekommt.

So spannend und lustvoll wie in Schwetzingen war „Lucio Silla“ lange nicht zu hören noch zu sehen. Nicht in der klugen Amsterdamer Inszenierung von Jossi Wieler, die auch schon Adam Fischer musikalisch geleitet hat, und schon gar nicht in Jürgen Flimms Salzburger Version. Eine Produktion, die auch ohne den Medienhype eines Starevents zum glänzenden Abschluss der Opernsaison geriet.

Joachim Lange

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