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Kultur: Masse liebt Dichte

Was muss dran sein an einem Festival-Auftakt? Wie viele Trommler wollen in Position gebracht werden, wie viele konzeptionelle Bekenntnisse erwartet die Festgemeinde?

Was muss dran sein an einem Festival-Auftakt? Wie viele Trommler wollen in Position gebracht werden, wie viele konzeptionelle Bekenntnisse erwartet die Festgemeinde? Nicht das die Erwartungen besonders hoch gewesen wären beim Beginn des diesjährigen Berliner Tanz-Winters.

Die Freunde der internationalen Choreografie betraten eher müden Schrittes das Hebbel-Theater. Ermattet von der weiten Ebene der gerade erst absolvierten Tanztage in den Sophiensälen, die vor allem Kondition einforderten - und mit Gipfeln geizten. Nun sollte das Renommee vertrauter Namen für euphorische Schübe sorgen. Mit Mathilde Monniers "Les Lieux de Là" wurde eine seit zwei Jahren tourende Produktion aufgeboten, die die Choreografin mit dem Centre Choréographique National de Montpellier erarbeitete. Auch die Expo in Hannover kam bereits in den Genuss ihres "journal choréographique", einer Sammlung von Bewegungsskizzen, entstanden als Recherche nach Elias Canettis "Masse und Macht".

Der Literaturnobelpreisträger schrieb dem Phänomen der agierenden Gruppe vier typische Eigenschaften zu: "1. Die Masse will immer wachsen . 2. Innerhalb der Masse herrscht Gleichheit. 3. Die Masse liebt Dichte. 4. Die Masse braucht Richtung." Klar, dass dieser verschlingende Organismus beim Individuum gemischte Gefühle auslöst. Canetti nennt da Begriffe wie Berührungsfurcht und Entladung, Ausbruch und Zerstörungssucht. Doch Monnier liebt es weniger psychodramatisch, weniger deutlich politisch motiviert.

Ihre zunächst im schlapprigen, schwarz-blauen Trainingsdress auflaufende multikulturelle Truppe ist ganz ins kinetische Fantasieren vertieft, während ein Gitarrist nach Heiner Goebbels Weisungen kratzt und singt, in den Orient reist oder nur die Zeit verticken lässt. Menschen stürzen von Mauern und drücken Pappkartons zu Brei, gleiten durch Gitter von Armen und Schultern. Später formt sich ein menschliches Spalier, ein gebannter Gesamtkörper. Das ist kunstvoll getanzt, breitet sich aber ziellos im Raum aus. Und so fokussieren die Augen bald das Unendliche. Alles scheint möglich, irgendwie. Aber nicht heute. Da sind wir zu müde.

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